Herr des Lichts
eine kurze Scheide aus dem gleichen weißen Material wie sein Oberkleid eine Scheide, in der kein Dolch, sondern ein Stab steckt. Unter dem Stoff dieses Gewandes zeichnet sich dort, wo die Schultern sich zum Nacken hochziehen, ein Buckel ab. Es sieht so aus, als ob da ein kleines Bündel befestigt wäre.«
»Agni!« rief Siddhartha. »Du hast den Gott des Feuers beschrieben!«
»Ja, so muß es sein«, sagte der Rakascha. »Denn als ich durch sein Fleisch blickte, um die Farben seines wahren Wesens zu erkennen, sah ich eine Flamme, so strahlend wie das Herz der Sonne. Wenn es einen Gott des Feuers gibt, dann muß er es sein.«
»Wir müssen fliehen«, sagte Siddhartha, »denn es wird hier eine gewaltige Feuersbrunst geben. Wir können diesen Gott nicht besiegen, deshalb müssen wir sofort aufbrechen.«
»Ich fürchte die Götter nicht«, sagte Taraka, »im Gegenteil, ich werde mich gern mit der Macht des Feuers messen.«
»Du kannst unmöglich gegen den Herrn der Flammen bestehen«, sagte Siddhartha. »Mit seinem Feuerstab ist er unüberwindlich. Der Todesgott hat ihm diesen Stab gegeben.«
»Dann werde ich ihm den Stab entringen und gegen ihn selbst wenden.«
»Niemand kann den Feuerstab benutzen, ohne geblendet zu werden und seine Hand dabei zu verlieren! Darum trägt Agni auch das seltsame Gewand und schützt die Augen mit einer dunklen Brille. Wir haben keine Zeit mehr hier zu vergeuden!«
»Ich muß mich selbst davon überzeugen«, sagte Taraka. »Ich muß.«
»Dein neuerworbenes Schuldbewußtsein treibt dich dazu, mit der Selbstzerstörung zu kokettieren. Du darfst das nicht zulassen.«
»Schuld?« fragte Taraka. »Diese kümmerliche, nagende Geist-Ratte, über die du mich belehrt hast? Nein, es ist kein Schuldbewußtsein, Bezwinger, es ist, daß neue Gewalten auf der Welt ihr Haupt erhoben haben, auf der ich einst, dich ausgenommen, der Mächtigste war. In den alten Tagen waren die Götter nicht so stark, und wenn ihre Stärke tatsächlich gewachsen ist, dann muß diese Stärke auf die Probe gestellt werden - durch mich! Es liegt in meiner Natur, die gleichbedeutend mit Kraft ist, jede neue Gewalt, die sich erhebt, zu bekämpfen und entweder über sie zu triumphieren oder durch sie bezwungen zu werden. Ich muß die Stärke Agnis auf die Probe stellen, und ich werde den Gott besiegen.«
»Aber wir sind zu zweit in diesem Körper!«
»Das ist wahr. Aber falls der Körper zerstört wird, werde ich dich mit mir forttragen, das verspreche ich. Ich habe die Flamme deines Wesens längst nach der Art meiner eigenen Rasse gehärtet. Wenn dieser Körper stirbt, wirst du als Rakascha weiterleben. Unser Volk besaß auch einmal Körper, und ich erinnere mich an die alte Kunst, die Flammen zu härten, so daß sie unabhängig vom Körper zu brennen vermögen. Das eben habe ich für dich getan. Du brauchst also nichts zu fürchten.«
»Herzlichen Dank!«
»Nun wollen wir uns der Flamme stellen und sie ersticken!«
Sie verließen die fürstlichen Gemächer und schritten die Treppe hinab. In den Tiefen unter dem Palast wimmerte der Radscha Videgha, Gefangener seines eigenen Kerkers, im Schlaf.
Sie traten durch die Tür, die unter den Behängen in der Wand hinter dem Thron lag. Als sie die Drapierungen beiseiteschoben, sahen sie, daß die riesige Halle leer war - abgesehen von den Schläfern in dem dunklen Wäldchen und dem Mann, der mitten in der Halle stand, den weißen Arm über den bloßen Arm verschränkt, einen Silberstab zwischen den Fingern seiner Handschuhhand.
»Siehst du, wie er dasteht?« flüsterte Siddhartha. »Er ist sich seiner Macht gewiß, und das mit Recht. Er ist Agni von den Lokapalas. Er kann bis zu den weitesten unverdeckten Horizonten sehen, so als ob sie an seinen Fingerspitzen lägen. Und ebensoweit reicht auch seine Macht. Man erzählt sogar, daß er eines Nachts mit seinem Stab in die Monde Kerben gebrannt habe. Wenn er das eine Ende des Stabs nur ganz leicht gegen einen Kontakt in seinem Handschuh drückt, springt mit blendender Helle das AllFeuer hervor, verzehrt alle Materie und zerreibt alle Energie, die ihm in den Weg kommt. Es ist noch nicht zu spät für uns, umzukehren.«
»Agni!« hörte er es aus seinem Munde schreien. »Du hast eine Audienz bei dem verlangt, der in diesem Palast herrscht?«
Die schwarzen Linsen richteten sich auf ihn. Agnis Lippen zogen sich kräuselnd zurück, verzogen sich weiter zu einem Lächeln, das sich jedoch sogleich in Worte auflöste:
»Ich
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