Herr des Lichts
Becken der Nacht teilte. Ein Mond sprang über die Gartenmauer und stieg zum Zenit. Später folgte ihm ein zweiter.
»Was ist das - der Fluch des Buddha?« fragte Taraka immer wieder. Aber Siddhartha gab keine Antwort.
Er hatte den letzten Wall, den Taraka vor sich aufgebaut hatte, niedergerissen, und wie Brandpfeile schossen die Energien nun hin und her.
Von einem Tempel in der Ferne tönte durch die Nacht der monotone Schlag einer Trommel herüber, und gelegentlich quakte eine der Gartenkreaturen, krächzte ein Vogel oder ließ sich auch ein Schwarm Insekten auf dem Körper nieder, sättigte sich und schwirrte wieder davon.
Dann kamen sie. Sie kamen auf dem Rücken des Nachtwinds, kamen wie ein Hagel von Sternschnuppen, die Befreiten aus dem Höllenschacht, die anderen Dämonen, die auf die Welt losgelassen worden waren.
Sie kamen auf Tarakas Ruf hin und vereinigten ihre Kräfte mit den seinen.
Taraka wuchs zu einem Wirbelwind, einer Flutwelle, einem Gewittersturm.
Siddhartha fühlte, wie eine titanische Lawine ihn überrollte, erdrückte, erstickte, begrub.
Das letzte, was er wahrnahm, war das Lachen aus seiner Kehle.
Wieviel Zeit seitdem vergangen war, wußte er nicht. Er erholte sich, kam aber dieses Mal nur sehr langsam zu Kräften. Er befand sich in einem Palast, in dem die Dämonen als Diener auftraten.
Als die letzten anästhetischen Banden geistiger Schwäche von ihm abfielen, spürte er die ganze Fremdartigkeit dessen, was um ihn vorging.
Die grotesken Gelage dauerten an. In den Verliesen wurden Feste gefeiert, bei denen die Dämonen in Leichen fuhren. Die so belebten Leichen verfolgten die Eingekerkerten und schlossen sie in die Arme. Schwarze Magie war im Spiel - aus den Marmorflaggen des Thronraums entsprang ein Wäldchen verkrüppelter Bäume, ein Wäldchen, in dem, ohne je zu erwachen, Menschen schliefen und aufschrien, wenn ihre alten Alpträume durch neue abgelöst wurden.
Aber dennoch, es hatte sich etwas verändert im Palast.
»Was bedeutet der Fluch des Buddha?« wiederholte er seine Frage, als er Siddharthas Gegenwart fühlte, die erneut ihren Druck auf sein Ich auszuüben begann.
Siddhartha antwortete nicht sofort.
Der andere setzte hinzu: »Ich glaube, der Tag ist nicht mehr weit, an dem ich dir deinen Körper zurückgeben werde. Ich bin diese Art von Vergnügen und diesen Palast langsam müde. Ich bin sie müde, und ich denke mir, vielleicht rückt der Tag heran, an dem wir gegen den Himmel Krieg führen sollten. Was meinst du dazu, Bezwinger? Ich habe dir gesagt, daß ich mein Wort halten würde.«
Siddhartha antwortete ihm nicht.
»Mein Vergnügen an allem hier ist mir von Tag zu Tag mehr vergällt. Weißt du, warum das so ist, Siddhartha? Kannst du mir sagen, warum ich alles als schal empfinde, mich seltsame Gefühle überkommen, mich in meinen stärksten Augenblicken niederdrücken, mich schwächen und mich entmutigen, wenn ich in Hochstimmung sein müßte und voller Freude? Ist das der Fluch des Buddha?«
»Ja«, sagte Siddhartha.
»Dann heb deinen Fluch auf, Bezwinger, und ich werde deinen Körper noch heute verlassen. Ich werde dir diesen Mantel aus Fleisch zurückgeben. Ich sehne mich nach den kalten, reinen Winden hoch über den Gipfeln der Berge! Wirst du mich freigeben?«
»Es ist zu spät, o Oberster der Rakascha. Du hast den Fluch selbst auf dich gezogen.«
»Was bedeutet das? Wie hast du mich dieses Mal bezwungen?«
»Erinnerst du dich daran, wie du mich damals, als wir auf dem Balkon miteinander rangen, verspottet hast? Du sagtest zu mir, daß ich insgeheim deine Lust, anderen Schmerzen zuzufügen, teile, und du hattest recht damit, denn alle Menschen sind innerlich in Finsternis und Licht gespalten. Ein Mensch ist in sich selbst widersprüchlich, er ist keine reine durchsichtige Flamme, so wie du es einmal warst. Oft widerstreiten bei ihm Verstand und Gefühl, Wille und Wunsch, seine Ideale stehen nicht im Einklang mit seiner Umgebung, und wenn er ihnen folgt, reißt es ihn schmerzhaft aus den gewohnten Bahnen - aber wenn er ihnen nicht folgt, empfindet er Unruhe darüber, einen neuen und erhabenen Traum verraten zu haben. Was immer er auch tut, es ist zugleich ein Gewinn und ein Verlust, ein Aufbruch und ein Ende. Immer trauert er dem nach, was vergangen ist, und immer fürchtet er einen Teil dessen, was neu ist. Der Verstand stellt sich gegen die Tradition. Seine Gefühle erheben sich gegen die Beschränkungen, die seine Mitmenschen ihm auferlegen.
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