Herr Möslein ist tot (German Edition)
mich jahrelang damit abquälen, rumliegende Männersocken wegzuräumen; warum habe ich ein halbes Leben lang extreme Eifersucht mit Liebe verwechselt und warum vorgelebte Lebenskonzepte ungefragt übernommen? Ich weiß es nicht.
Ich weiß nur eins: Wie glücklich und zufrieden hätte ich sein können, wenn ich meinen Traummann schon vor, sagen wir, 25 Jahren getroffen hätte. Zu einer Zeit, als ich jung und frisch war und nur das Eine im Kopf hatte. Gut, das Eine habe ich mit fünfzig auch noch im Kopf, nur dass es sich hierbei jetzt um eine solide Bankverbindung zur Rentenvorsorge und nicht mehr um Sex handelt.
Markus Lanz sagt gerade: »Herrlich, hahaha, das lassen wir mal so stehen. Haha. Wahnsinn!« Das sagt der Markus genauso oft, wie mein Kumpel Ronny den Satz: »Jenau jetzt isset schön, Tati, jetzt kannste deinen Carsten und seine genialen Kochkünste jenießen. Denn wann bejinnt dit Leben erst richtig? Wenn die Kinder aus’m Haus sind und der Dackel tot!«
Ronny hat gut reden. Meine Tochter Pauli ist zwar aus dem Haus, aber meine Katze Chica lebt noch. Und wie soll das Leben beginnen, wenn mein Körper anfängt, auseinanderzufallen. Was heißt hier: anfängt? Er hört einfach nicht mehr damit auf, mein Körper. Und von wegen: sehend werden. Ich kann immer schlechter gucken! Ein paar Vorteile des Altwerdens gibt es natürlich auch. Ich bin – außer bei schrill kreischenden Kleinkindern – viel gelassener als früher. Hätten meine Ex-Lover, so wie Carsten jetzt gerade, meinen Geburtstag verpennt, wäre ich zum Frettchen geworden! Richtig sauer mit allen Konsequenzen: Sexentzug und ununterbrochene Nörgelei. Heute, mit fünfzig, bin ich froh, wenn ich meine Ruhe habe und gucken kann, was ich will. Soll Carsten doch schlafen! Ich habe dafür Verständnis. Carsten ist in den letzten sieben Jahren, seit wir uns im Internet kennen- und lieben lernten, auch älter geworden: Er hat ab und zu Rücken und braucht eine Gleitsichtbrille, deren intellektuelle Wirkung im Moment nicht zur Geltung kommt. Carstens Kopf ist schräg nach vorn gefallen, die Brille sitzt schief, und seine Gesichtszüge sind unvorteilhaft erschlafft. Ich lache bei seinem Anblick unwillkürlich in mich hinein und denke: Sexentzug wäre auch keine richtige Strafe mehr. In unserem Alter und nach sieben Jahren Beziehung! Lanz gucken kann manchmal auch befriedigen. Mich jedenfalls. Aber jetzt gibt es Wichtigeres: meinen Geburtstag und mein Geschenk.
Ich schleiche zum Kühlschrank, hole die angefangene Flasche Prosecco und schenke uns nach. Gerade als Lanz sagt: »Das lassen wir mal so stehen!«, schalte ich den Fernseher aus und klopfe ganz vorsichtig mit dem weißgoldenen Ring an meiner rechten Hand gegen mein Glas – »Klong«. Den Ring hat mir Carsten geschenkt, als er mir vor vier Jahren eine sensationelle »Hochzeit der Herzen« organisierte. Eine Hochzeit ohne Standesamt, aber sonst mit allem Drum und Dran.
»Klongggggg«, Chica gähnt und streckt sich.
»Klonggggg« – »Ch…chrrrrr«, Carsten schnorchelt zweimal laut auf, öffnet die Augen, guckt verwirrt und reibt sich den Nacken.
»Hallo, Liebling«, ich reiche ihm das Glas, »jetzt ist es gleich soweit!«
»Oh, Sekunde!«, Carsten ist sofort hellwach. Er springt auf und holt etwas aus dem Wohnzimmer, das er hinter seinem Rücken versteckt hält. Mit seiner freien Hand greift er nach dem Weinglas auf dem Küchentisch.
»Und immer schön in die Augen gucken, sonst sieben Jahre schlechter Sex!«, schmachte ich ihn vorfreudig an.
»Wozu in die Augen gucken, wegen der paar Mal noch«, sagt Carsten und lacht.
Ich bin so gierig, Carstens Geschenk aufreißen zu können wie ein Westpaket, dass ich hastig am Prosecco nippe und Carstens Kuss, der zur Feier des Tages natürlich ein langer, sensationell erotischer Zungenkuss werden soll, kaum erwidere und stattdessen versuche – als liebevolles Rückenstreicheln getarnt – das Geschenk zu ertasten. Carsten greift meine Hand und zwingt sie an seine Brust.
»Nicht so neugierig, Tati! Ich möchte dir erst noch gratulieren.« Ich schaue ihn erwartungsfroh und ein wenig unkonzentriert an. »Ich liebe dich. Ich freue mich auf jeden neuen Tag mit dir, und ich wünschte, wir hätten uns schon mindestens 20 bis 25 Jahre früher kennengelernt! Alles Gute zum Fünfzigsten.«
»Ich liebe dich auch!«, erwidere ich nicht besonders originell, denn ich bin verblüfft. Genau dasselbe hatte ich doch gerade eben auch gedacht. Komisch … vielleicht
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