Herr Möslein ist tot (German Edition)
gemein!«, schlägt sich Gisi auf meine Seite und fragt neugierig: »Wie sieht dein Carsten denn nun aus?«
»Na ja«, gebe ich zu, »ein bisschen anders, als ich gedacht habe. Etwas pausbäckiger und blonder.«
»Ach, also nicht so toll!«, stellt Gisi fest. »Dann verstehe ich nicht, warum du so scharf auf diesen Carsten bist.«
»Der Charakter ist entscheidend, Gisi. Er wird der erste Mann sein, der wirklich zu mir passt, und mit dem ich glücklich werde«, wiederhole ich mein Mantra.
»O Tati, immer diese Liebesschmonzetten. Du hast bestimmt was mit den Hormonen!« Gisi guckt genervt.
»Gisi, bitte tu doch einmal so, als ob du romantisch sein könntest, und stell dir vor, es gäbe wirklich diesen einzig Richtigen für mich. Warum sollte ich ihn nicht so schnell wie möglich kennenlernen wollen?« Langsam werde ich wütend.
»Weil er vielleicht etwas anderes im Leben vorhat?«, bellt Gisi.
»Vielleicht hatte Rudi auch was anderes vor in seinem Leben … und dann hast du ihn dir einfach gekrallt! Mit 16! Frag ihn doch mal!«, zische ich Gisi an.
Gisi lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. »Rudi hatte doch großes Glück mit mir! Stimmt’s Rudi, du bist auch glücklich, dass wir uns so früh kennengelernt haben?«
»Klar!«, sagt Rudi, »Ich kenne es nicht anders. Gisi bürdet mir zu viel Arbeit auf. Immer muss ich irgendetwas bauen!«
»Pass auf, was du sagst, Rudi!« Die beiden schäkern wie zwei frisch Verliebte.
»Sag mal, Gisi«, frage ich darum, »leidest du eigentlich?«
»Unter Rudi?«
»Nee, so … hier. Am System?«
»Nö! Im Moment sind Rudi und ich ganz glücklich. Mit unseren Berufen, dem Haus, den Kindern …« Gisi zieht verwundert die Stirn kraus. Ich bin verwirrt, weil Gisi das so öffentlich zugibt. »Pssst. Sag das nicht so laut. Das ist politisch nicht korrekt, weißte? Wir ham doch sehr gelitten, oder?«
»Hä?«, Gisi guckt verständnislos und ungläubig. »Beim Studium?«
Ich winke ab, sie versteht mich nicht. Rudi legt den Hörer auf den Tisch: »Naja, verreisen würden wir gern mal.«
»Könnt ihr ja bald! Ihr wisst ja, was demnächst passiert!« Nach diesem Satz droht mir Rudi wieder mit dem Hörer seines Handtelefons. Er glaubt mir nicht.
Wir verabschieden uns fröhlich, wenig später habe ich mein aufgekratztes Kind im Trabi und fahre in mein altes Zuhause. In vier Tagen werden mir meine Freunde glauben und nicht mehr leiden. Egal ob sie gelitten haben oder nicht.
***
In der anbrechenden neuen Woche, der letzten mit geschlossenen Grenzen, hat Heinzi den Abendkinderdienst übernommen, weil ich täglich in der Moskau Bar in Berlin Auftritt habe. Dieses Prestigeobjekt der DDR wird für mich ein Leben lang untrennbar mit dem untergegangenen Land meiner Kindheit und Jugend verbunden sein. Sogar in zweifacher Hinsicht. Zum einen, weil ich hier wegen des zeitgleichen Auftritts den Mauerfall erlebte, zum anderen, weil ich viel später, am 15. März 2006, aus einem besonderen Grund wieder im Café Moskau feierte. Carsten und ich hatten – wahrscheinlich mangels Nachfrage – zur Premiere des später Oscar-gekrönten deutschen Films »Das Leben der Anderen« eine Einladung erhalten. Darum besuchten wir nicht nur die Welturaufführung im Kino Colosseum in Prenzelberg, sondern auch die Premierenfeier im völlig heruntergekommen DDR -Originalschauplatz, dem Café Moskau, das kurz vor seiner Rekonstruktion stand.
Uns hatte der Film, wie anfänglich auch vielen Kritikern, wegen geschichtlicher Unkorrektheiten und extremer Längen überhaupt nicht gefallen. Wir empfanden den Regisseur als selbstgefällig und irgendwie unwissend. Aber das durfte man nach dem Auszeichnungsmarathon dieses Films natürlich nicht mehr öffentlich äußern, sonst wäre man gleich in die Schublade des Kulturbanausen und ewig Gestrigen gesteckt worden.
An all das dachte ich, als Betty und ich am 6. November ’ 89, mit Kostümen bepackt dem Café Moskau entgegeneilten.
»Diese Woche, jeden Abend: Mr.Funfaire & Co und Cora«, stand als Ankündigung im beleuchteten Kasten neben dem Eingang. Und so vergehen auch unsere ersten zwei Gastspielabende: Jeden Tag passiert das Gleiche. Ingo empfängt uns schon an der Treppe und nimmt mir meinen schweren Kleidersack ab, dann wagen wir einen Blick in die schummrig beleuchtete Bar und können nur mit Mühe drei bis acht Gäste ausmachen. Jeden Abend diskutieren meine Kollegen, wie schade, aber unerheblich dieser Zustand ist, und versichern einander, auch bei nur
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