Herr Möslein ist tot (German Edition)
gegen Daliah sagst, fliegt ihr raus!« Diese Äußerung, die dem Carsten des nächsten Jahrhunderts niemals über die Lippen gekommen wäre, weckt mich aus meiner Trance. Ich sehe über einem runden Türdurchgang ein Toilettenschild und gehe los.
Beim Blick in den Spiegel bin ich überrascht, wie gut mich die Schnauzbärtigen beschrieben haben. Die orangefarbene Punkfrisur steht mir einfach nicht. Mit nassen Händen sortiere ich meine Haare in den mir vertrauten Strubbel-Look und verwische die schwarzen Flecken auf Opas Jacke mit dem feuchten Eisbeutel. Als ich mich gerade auf die Heizung setze, um über das desaströse Wiedersehen mit Carsten nachzudenken, stehen plötzlich Betty und Alu auf der Türschwelle der Damentoilette und schauen mich mitleidig an.
»Tati, geht es dir gut?« Alexandra will schon wieder ihr Taschentuch rausholen.
»Ja, lass mal. Körperlich geht es mir sehr gut. Ich weiß nur nicht, was ich jetzt machen soll«, antworte ich recht gefasst.
»Na wir gehen jetzt. Was willst du denn von dem Fuzzi?«, sagt Betty mit überrascht aufgerissenen Augen.
»Ich will ein Kind von ihm!«
»Ist klar!«, kichert Alu. »Du wünschst dir ein pausbäckiges Mopsgesicht mit orangefarbenen Haaren, das ihr dann – in verklärter Erinnerung an euer Kennenlernen – Daliah nennen könnt!« Das einsetzende Lachen der Mädels hallt in der gefliesten Nasszelle unschön wider.
»Ihr seid gemein!«, rufe ich trotzig, drängle mich durch die beiden hindurch, stapfe zurück in den Gastraum und setze mich an die Bar. »Alles okay?«, fragt Carsten. »Ja«, sage ich lächelnd und bestelle eine Apfelsaftschorle. Während Carsten routiniert Apfelsaft und Eis in ein Glas füllt und dann mit Wasser auffüllt, ist er genauso konzentriert wie sonst beim Kochen. Wahrscheinlich wirkt er so reserviert, weil er arbeiten muss, beruhige ich mich und beschließe, aufs Ganze zu gehen.
Carsten wirft einen Bierdeckel auf den Tresen und stellt die Schorle drauf. »Carsten?«, rufe ich in dem Moment und hebe dabei meine linke Hand. Er blickt mich an, mir stockt kurz das Herz, und dann sprudelt es aus mir heraus: »Ich heiße Tatjana, und ich möchte dich kennenlernen.« Carsten schaut mich verdutzt an, stützt sich auf der Spüle hinter dem Tresen ab und lächelt mit einer Mischung aus verschmitzter Unsicherheit und Irritation. Dann wringt er verlegen einen Lappen aus. Ich blicke auf den vor mir wischenden Lappen und sage: »Bitte sei nicht peinlich berührt. Ich habe so lange nach dir gesucht. Bitte gib mir deine Telefonnummer, ja?«
Carstens Minenspiel wechselt in Verblüffung. Plötzlich hält er in seinem emsigen Tresenwischen inne und sagt: »Nein!« Dabei schaut er auf meine mit dem – von ihm geschenkten – Ring verzierte Hand und sagt: »Du kannst mir ja deine Nummer geben!«
Ich ziehe die Hand weg und erwidere enttäuscht: »Aber ich habe gar kein Telefon!«
Carsten wirft den Lappen mit Schwung in das Spülbecken, und seine braungrünen Augen sehen mich fragend an. Mir ist, als wehte mich etwas Vertrautes an. Etwas, das nach Omas Schweinebraten schmeckt oder nach dem Ballettsaal, der nach einem Training meiner Kindertanzklasse in der Musikschule nach benutzten Tanzschläppchen und staubigem Schweiß riecht. Irgendwie heimelig. Ich werde ganz ruhig und entspannt, aller Stress versiegt. Ich trinke einen Schluck Schorle und werde wagemutig: »Wollen wir uns am 9. November treffen?«
Er wirft den Lappen in die Spüle. »Wann?«
»Sagen wir … gegen ein Uhr nachts?« Jetzt läuft’s, denke ich. Ja! Carsten guckt zwar so, als ob er nicht genau wisse, warum er das jetzt sagt, sagt es aber trotzdem: »Okay, am 9. November um ein Uhr hier!« Vielleicht spürt Carsten auch, dass gerade etwas ganz Besonderes passiert. Ich könnte ihn knutschen und grinse wie ein Honigkuchenpferd, während ich mir vorstelle, dass ich demnächst mit Carsten Silberhochzeit feiern werde. Plötzlich steht Betty neben mir und fragt: »Irgendwas Schlimmes passiert?«
»Nein!«, erwidere ich fröhlich. »Wir können zahlen!« Ich lege Carsten zum Abschied die von meinem Sturz demolierte Schlagersüßtafel auf den Tresen und zwinkere ihm verschwörerisch zu.
Irgendwie, irgendwo, irgendwann
Meine Augen sind geschlossen. Schon in der ersten Zehntelsekunde meines Erwachens fällt mir alles wieder ein: Die Verabredung mit Carsten, der erfolgreiche Auftritt auf der Trabrennbahn, mein glückliches Tantchen, das uns zuschaute, der unvermeidbare Jürgen mit
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