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Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Titel: Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Baronsky
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entgegen. »Kein weiterer Befund«, sagte er grinsend. »Ihr Patient. Schönen Abend noch.«
    Der andere tippte an seine Mütze und zog sich einen Stuhl heran, klopfte mit einem Stift auf ein kleines Büchlein. »Es tut mir leid, aber Ihre Personalien brauch ich noch, Herr …?«
    »Mustermann, Wolfgang Mustermann.«
    Der andere schrieb, sah Wolfgang mit teilnahmsvollem Gesicht an. »Herr Mustermann, der Fahrer des Linienbusses hat ausgesagt, Sie hätten versucht, sich das Leben zu nehmen?«
    »Eine solche Gnade will der Herr einem wie mir niemalen nicht vergönnen.«
    Der Beamte schwieg betreten, fragte dann zögernd: »Können Sie sich ausweisen?«
    Wolfgang war, als schmerzten die Gedanken in seinem Kopf. »Ich … habe einen Ausweis.«
    »Ja. Den hätt ich gerne, bitte schön!«
    »In meiner Jacke, dort.«
    Der Blaue reichte ihm die klamme Jacke, und Wolfgang fischte das Kärtchen aus der Innentasche, roch plötzlich wieder den staubigen Keller, das Stiegenhaus, ihr Zimmer, Anju … Mit einem tiefen Atemzug übergab er dem Beamten den Ausweis.
    »Eberhard W. Pall-ou-ss-c-z-i-c-z-k? Sind Sie das?«
    Wolfgang nickte.
    »Eben haben Sie mir noch gesagt, Sie heißen Mustermann. Hier steht aber Pall… – wie spricht man das?«
    »Sehen Sie«, gab Wolfgang matt zur Antwort, »eben dieses ist die Erschwernis in der Sache.« Er hatte sich selbst über eine Stunde daran versucht und sich unter den möglichen Sprechweisen die wohlklingendste ausgesucht. »Unter diesem Namen will kein Künstler, der auf sich hält, in Frieden sich Ehre machen.«
    »Also ist Mustermann ein Künstlername? Hm, den müssen Sie sich aber eintragen lassen.« Er seufzte. »Also noch mal. Eberhard Pall-ou-ss-c-z-i-c-z-k. Sie wohnen?«
    »Gewiss tue ich das. Ich habe ein Logis bei einem Freund …« Erschrocken klappte er den Mund zu, er hatte Piotr auf die Seele seiner toten Mutter versprechen müssen, nichts von der Adresse preiszugeben. Komme ich in Teufelküche sonst, hatte der Geiger ihm eingeschärft. »Das heißt …«
    Der Beamte runzelte die Stirne. »Wie denn nun, bei einem Freund?«
    Wolfgang sog vorsichtig Luft ein. »Nun, in einer gewissen Art, nein, also, es ist ein Logis, welches meine Liebste, die …«
    »Wollen Sie mir nun Ihre Adresse nennen oder nicht? Wo ist denn Ihr Meldezettel?« Der Beamte hatte seltsam farblose Augen, ein fades Grau, als hätte ein Maler den Inhalt all seiner Farbtöpfe zusammengekippt.
    Wolfgang presste die Lippen aufeinander.
    Der Beamte atmete vernehmlich, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und schloss für einen Moment die Augen. »Hören Sie, Herr Pallousscziczk, können Sie mir sagen, wie es zu dem Unfall gekommen ist?«
    »Ich … weiß nicht, ich …«
    »Sie sind auf den Bus zugelaufen?«
    »Nein … ich …«
    »Wohin wollten Sie denn?«
    »Fort.«
    Der Blaue räusperte sich, stand auf und verließ für kurze Zeit das Zimmer. Als er wiederkam, musterte er Wolfgang mit rabenschwarzem Blick.
    »Sie geben also an, Eberhard Pallousscziczk zu sein? Geboren am 11. Mai 68?«
    Wolfgang lächelte zögernd. »Gewiss, so steht es dort, nicht wahr? In meinem Ausweis.«
    »Interessant, Herr Pallousscziczk.« Der Beamte verschränkte die Arme. »Dann sind Sie nach unseren Angaben am 8. November 2006 verstorben.«
    Wolfgang spürte, wie sein Kinn zu zittern begann, hörte seine Stimme kaum. »Das ist … mithin gefehlt, es war der 5. Decembris, dessen bin ich gewiss.«
    »Wie bitte?«
    »Oh, ich …« Er schwieg, sah zu Boden, fuhr mit dem noch immer unbeschuhten Fuß das schlierenartige Muster des Linoleums nach. »Mein Sterbtag. Der 5. Decembris.«
    »Mein Gott.« Der Beamte griff sich an die Stirn. »Alles klar. Vielleicht können Sie mir jetzt Ihren Namen sagen? Ihren
richtigen
Namen.«
    Er war tot. Jenen Eberhard, dessen Namen er sich ausgeborgt hatte wie einst Ennos Hose, gab es nicht mehr. Hatte er je einen Gedanken an ihn verschwendet? Was wusste er von ihm, außer dass er keine vierzig geworden war? Er mochte am Vortag jenes 8. Novembris noch ahnungslos Pläne für den nächsten Tag geschmiedet haben, für die nächste Woche, das nächste Jahr. Bei diesem Gedanken spürte Wolfgang eine jähe Enge in seiner Brust. Hatte er nicht stets erklärt, dass es im Leben nichts Gewisseres gebe denn den Tod? Und dessen Zeitpunkt wiederum das Ungewisseste von allem sei? Er aber kannte seinen Sterbtag, der sich in Bälde zum ersten Mal jährte. Ob dieser nun auch für dieses Leben galt? Wie viel Zeit blieb ihm also

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