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Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Titel: Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Baronsky
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grauslichen Schreie, sie hallten körperlos durch die Mauern, als schrien die Wände selbst. Die Konturen verschwammen, wurden blau, dann schwarz. Ihm war, als schwebe er, in einer Blase, so losgelöst, dass keine Zeit mehr nach ihm greifen konnte. Verwundert spürte er, dass er sich seit unvorstellbar langem wieder nach Constanze sehnte, mit einer Intensität, die ihn körperlichschmerzte, zwischen seinen Ohren und tief hinter dem Brustbein. Fast war ihm, als sei sie bei ihm, er spürte ihre Nähe, und schließlich spürte er sie wahrhaftig, ihre Wärme, ihren Atem, ihren Schoß, doch irgendwann gegen Morgen zerriss sein Traum wie dünnes Papier und wehte davon.
    Jemand führte ihn in ein Speisezimmer, wo Männer und Frauen jeden Alters beim Frühstück saßen, die meisten gerade so, wie sie aus dem Bett gestiegen sein mussten, strähnig und schal. Er machte kehrt, Hunger blieb ihm keiner.
    Man gab ihm Papier, blankes und später Notenpapier, so viel er wollte. Er schrieb an Anju, hatte sie bitten wollen, ihm zu helfen, ihm beizustehen, und brachte doch nichts als eine Narretei zu Papier, eine Posse, in der wohl zwanzigmal das Wort Narr auftauchte, in allen Variationen, die ihm einfallen wollten. Auch Czerny schrieb er, doch er wusste nicht, wie er ihn hätte narren können, und so riss er das Papier in münzgroße Fetzchen.
     
    »Na, Mozart, wieder fleißig?« Mit Schwung riss die Frau, die Schwester Theresa genannt werden wollte, die Gardinen zurück und öffnete den Fensterflügel weit. Rasch sammelte Wolfgang seine Papiere zusammen und stellte die Wasserflasche darauf, damit sie nicht wie am Vortag durchs Zimmer flatterten und er alles wieder neu sortieren musste.
    »So, unser Bonbon heute.« Sie hielt Wolfgang eine der länglichen Pillen hin, die er jeden Morgen zu schlucken hatte, nahm seinen verkrümelten Frühstücksteller vom Fensterbrett und sah ihm über die Schulter zu. »Das sieht aber kompliziert aus … was wird das denn, wenn’s fertig ist?«
    »Eine Sonate für das Klavier in As-Dur. Sie ist mithin leicht zum Spielen … so man sich darauf versteht.«
    »Hm. Ich versteh da nix von, Mozart. Aber die Nikki, die lernt jetzt auch Klavierspielen. Das ist meine Enkelin, die Tochter von dem Hans, meinem Sohn, wissen Sie.«
    »Das will einer Tochter wohl gut anstehen und Ehre machen.«
    »Vielleicht schreiben Sie mir mal was für die Nikki auf, die spielt immer so schön, vielleicht was für Weihnachten, letztes Mal hat sie
Morgen, Kinder, wird’s was geben
gespielt, das macht sie schon ganz ordentlich, also, man könnt fast mitsingen.«
    Das Christfest.
    »Gewiss.« Am Vorabend hatten zwei Pfleger einen großen Tannenkranz unter die Decke des Aufenthaltsraumes gehängt. »Ich will ihr ein kleines Rondeau machen, zum Christfest. Wenn ich dermalen noch etwas Tee haben dürfte …« Er reichte ihr den leeren Becher.
    Mit einem Lächeln nahm sie ihm den Becher ab, strich noch einmal über das frisch gemachte Bett und verließ den Raum. Wolfgang überflog die letzten Takte und senkte den Stift neuerdings zum Papier, schrieb eine überlange Pause und einen unvermittelten Sprung, webte in einer weiteren Stimme jenen Trübsinn ein, nach dem in diesem Hause alles schmeckte, jenes Gefühl eingefrorener Zeit, als stünde die Wirklichkeit still.
    Man würde ihn wieder zu einem der Gespräche holen, bei dem er der Doktorin Fragen um Fragen zu beantworten hatte und erzählen musste, was er gerne tat, wen er liebte und warum er niemals an seine Söhne dachte. Anschließend blieb noch der dritte Satz zu schreiben. Ja, und das Rondeau. Und dann?
    Immer wieder hatte er daran gedacht, nach Piotr zu schicken, der Geiger hätte längst zurück sein müssen. Und doch brachte er es nicht zuwege, schien ihm alles zu entgleiten, was dort außerhalb der bleichen Mauern des Spitals stattfand, immer ferner, mit jedem Tag, den er hier verbrachte.Da war eine Schwere, eine Müdigkeit, die sich über ihn legte und ihm tags die Frische, des Nachts den Schlaf und immer öfter auch die Töne raubte.
***
     
    »Wolfgang?« Piotr stieß die Tür auf und schob seine Tasche ins Zimmer hinein. Es roch muffig, Wolfgangs Bettzeug lag zerwühlt auf dem Sofa, Kleidungsstücke und Unmengen von Notenpapier waren überall verstreut.
    »Jeste§ brudasem!« Piotr öffnete den Fensterflügel weit, sein Blick ging zum Abwaschbecken, wo in einem halbleeren Kaffeebecher kleine Pelzchen schwammen. Er öffnete den Mülleimerschrank und griff nach der

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