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Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Titel: Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Baronsky
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zu, wandten sich jedoch, kaum dass Piotr den Bogen absetzte, wieder zum Gehen.
    »Bitte schön, die Herrschaften«, der Kleine bückte sich blitzschnell, packte das geöffnete Geigenfutteral und fegte humpelnd hinter den Touristen her. Unter weiterem Geschnatter, so als schienen sie den Zweck der Vorführung jetzt erst zu begreifen, zückten sie ihre Geldbörsen, warfen Münzen und sogar Scheine in den roten Samt.
    »Dziękuję!«, rief Piotr, und das erste warme Gefühl des Tages durchdrang ihn, als der Kleine den Geigenkasten vor ihm abstellte.
    »Wie nennt man jenes Stück, das Ihr gespielet habt? Von wem ist es komponiert?«
    Piotr kniff die Brauen zusammen. Der Kleine sprach unverkennbar mit österreichischem Akzent. »Machst du Spaß, oder? Kennst du nicht
Blaue Donau
von Strauß?«
    Der Kleine machte ein ahnungsloses Gesicht, hob immer wieder das linke Bein, etwas schien mit seinem Fuß nicht zu stimmen. »Fatal«, sagte er so leise, dass Piotr ihn kaum verstehen konnte, »nicht eine Seele hat sich nach Mozart umgeschaut.«
    »Funktioniert auch mit Mozart.« Piotr hatte das Gefühl, diesen seltsamen Kauz trösten zu müssen, und spielte die ersten Takte von Mozarts
Kleiner Nachtmusik
. Wie auf Bestellung drehten sich abermals die Passanten um. »Siehstdu?« Piotr nickte dem Kleinen zu, der von neuem strahlte, als wollte er Piotr um den Hals fallen. Seine rechte Hand hob sich und fing sachte wieder zu dirigieren an.
    »Ist immer gleiche mit Touristen«, brummte Piotr, hielt inne und zog mit dem Bogen einen imaginären Kreis um die Leute ringsumher, »reden alle von Mozart, aber kennen sie nur diese eine Stück.«
    »So … ist es ein recht populares Stück geworden?«
    »Ist Berühmtestes von Mozart. Kennst du nicht?«
    »O gewiss. Ich kenne mit Bestimmtheit ein jedes seiner Werke«, erklärte der Kleine nüchtern und hauchte sich in die Hände.
    »Jedes?« Piotr pfiff anerkennend durch die Zähne, wie er es immer tat, wenn sein kleiner Neffe ihm erklärte, dass er bis zum Dachfirst hüpfen könne. »Kenne ich nicht alle. Gibt viel zu viele. Und ist schwer zum Spielen, Mozart. Kann ich besser Tschaikowski oder Dvořák.« Piotr fixierte ihn prüfend. »Magst du Tschaikowski?«
    Der Kleine starrte ihn sekundenlang an. Plötzlich hob er enthusiastisch die Hände. »Hättet Ihr die Güte, mir Euer liebstes Stück von ihm zu spielen?«
    Piotr holte Luft. Er wurde aus diesem Irren nicht schlau, aber für ein kurzes Stückchen blieb ihm Zeit.
    Der Kleine lauschte mit einem Blick, der Piotr sagte, dass er es tatsächlich nie gehört hatte; doch verfolgte er die Musik mit einer so intensiven Aufmerksamkeit, als wollte er jede Note in sich aufsaugen.
    »Wundervoll!« Der Kleine applaudierte wieder mit unverhohlener Begeisterung. »Gewiss könnt Ihr mir sagen, wann es komponiert wurde.«
    »Hat er geschrieben ziemlich spät, glaube ich. Ungefähr 1890.«
    Der Kleine zuckte zusammen, an den Dampfwölkchen erkannte Piotr, dass er tief ausatmete. »Gütiger Gott! 1890! So ist es mehr als hundert Jahre alt?« Er raffte mit der rechtenHand den Kragen seiner Strickjacke vor dem Kinn zusammen und sah Piotr mit nahezu irrem Blick an, doch gleich darauf entspannte sich seine Miene. »So wollt Ihr mir gewiss die Freude machen, etwas vollkommen Neues zu spielen, etwas, das gerade à la mode ist?«
    »Nein, ist Schluss für heute.« Piotr bückte sich und schob die Thermosflasche in seinen schwarzen Nylonrucksack. Der Kleine stand reglos vor ihm. Piotr registrierte dessen zerschlissene Turnschuhe und bemerkte, dass er sie an bloßen Füßen trug. Welche Probleme mochte so ein Typ im Dezember haben? Dagegen war das, was ihn erwartete, geradezu eine Kleinigkeit.

Tuba mirum
     
    Tuba mirum spargens sonum
    Per sepulcra regionum,
    Coget omnes ante thronum.
    Mors stupebit et natura,
    Cum resurget creatura,
    Judicanti responsura.
     
    Inzwischen hatte tiefes Blau alle anderen Farben bezwungen, nur die Bögen und Girlanden leuchteten triumphierend auf, als hätten sie den Sieg über das Tageslicht davongetragen.
    Jäh spürte Wolfgang wieder die Wunde an seinem Fuß, presste die Zähne zusammen und verzog das Gesicht. Ein Pochen breitete sich über seinem Ballen aus.
    Er sah dem Geiger zu, wie dieser die Münzen aus dem Geigenkasten sammelte und behutsam sein Instrument hineinbettete. Sicher käme er gleich in ein warmes Zuhause, vielleicht hatte er ein Eheweib, das mit einer heißen Suppe auf ihn wartete.
    Die Kälte kroch seine Waden

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