Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)
Stimme!
»Der Tod macht mich nicht beben …«
Seine Pamina, seine Musik, seine
Zauberflöte
! Hunderte, nein, Tausende, Abertausende Male musste sie hier gespielt worden sein, gleichwohl er doch erst wenige Monate zuvor seinen Namen auf das letzte Blatt gesetzt hatte. Aber kein Baum, kein Strauch, kein gemalter Himmel war im Bühnenraum zu sehen, einzig zwei kahle Wände markierten Sarastros Reich, farbiges Licht tauchte das Bild in verschiedene Stimmungen. Wolfgang schauderte. Was auf all den Plätzen, die er in den vergangenen Tagen besucht hatte, nicht mehr als ein vages Gefühl gewesen war, wurde hier greifbar, übermächtig, wirklich: Er stand vor einer Bühne, deren Gesicht sich bis zur Unkenntlichkeit verändert hatte, die Rezitative kamen in jener knappen, raschen Sprache daher, deren Tempo ihn straucheln ließ und an deren kargen Klang er sich nicht gewöhnen mochte. Ohne Musik wäre er hier verloren gewesen, haltlos und fremd. Doch die Musik, seine Musik war geblieben! Keine Note hatte man verändert, sondern brachte alles in höchster Reinheit und Perfektion dar. Seine Zeit war gekommen, die Welt endlich reif für seine Musik. Und ja, er würde eine neue Opera schreiben, eine, die Welten und Zeiten umspannte, und dieses Mal selbst miterleben, wie sie einen wahren Siegeszug antrat.
Er sah die
Zauberflöte
auch an den folgenden Tagen, fand höchstens winzige Veränderungen in der Intonation, alles war von beinahe derselben unverrückbaren Perfektion, dass er kaum hätte sagen können, was die eine Vorstellung von der vorangegangenen unterschied. Das Ensemble musste unvorstellbar lange geprobt haben. Tage, vielleicht gar Wochen! Was für eine herrliche Welt! Wenn man Sängern und Musikern derart lange Zeit zum Exerciereneinräumte, so durfte er selbst vielleicht auch im Vertrauen auf bessere Conditionen leben. Stand doch ein Werk, mit Muße vollendet, unter einem ungleich besseren Stern als alles, was in Eile komponiert werden musste.
Sobald der letzte Vorhang sich gesenkt hatte und der zähe Besucherbrei Wolfgang die Operntreppe hinunterschob, zog es ihn jedes Mal, hoffnungsfroh wie einen farbenblinden Nachtfalter, zu dem blauen Lokal. Dort saß er dann in seinem granatroten Anzug, ließ immer neue Kompositionen durch seine Phantasie laufen, sinnierte über seine Opera, trank Bier von seinen allerletzten Münzen und schmeckte die Erinnerung an den bloßen Nacken seiner Königin der Nacht. Daran, wie sie einmal, ganz kurz, zu ihm gesehen hatte. An jenem Abend, da er sie mit dem blauen Flügel begrüßt hatte. Und er wusste, dass er sie haben musste, koste es, was es wolle. Auch wenn er derzeit keine andere Währung als Musik zu bieten hatte.
Obwohl er nichts mehr verabscheute als derlei Bittgänge, überwand er sich eines lausigen Abends, als er das Lokal zwar belebt, die Bühne aber verwaist fand, schritt auf den leuchtblauen Tresen zu, wandte sich an den Bar-Mohren, erklärte ihm sein Anliegen und fragte nach dem Lokalbesitzer.
Der Wirt, der aussah wie ein zu groß geratenes Kind, musste den Kopf einziehen, als er durch den Türrahmen trat.
»Sind voll besetzt«, brummte er, ohne Wolfgang anzusehen, und tippte auf der Registrierkassa herum.
»Bester Mann, bei allem Euch gebührenden Respekt …« Wolfgang stellte sich auf die Fußstange des Tresens, reckte sich, so hoch er konnte, und legte die Hand hinter seine Ohrmuschel. »Der da heute spielt, der ist ein Stümper, versteht er doch von Musik nicht mehr als der Leibhaftige vomAbendgebet. Hört nur, da! Habt Ihr’s gehört, wie er fehlt? Was? Nichts? Nichts habt Ihr gehört? Sonderbar …«
Der Wirt reckte das Kinn nach vorne. »Verarschen kann ich mich selbst.«
»Oh, gewiss, Monsieur, woran ich nicht den kümmerlichsten Krümel eines jämmerlichen Zweifels hege, doch darf ich Euch versichern, dass ich mich darauf ungleich besser verstehe.« Wolfgang grinste rasch, verbeugte sich ein wenig. »Äh, aufs Spielen, Herr Wirt, aufs Spielen.«
»Du bist der Oberclown, was? Das ist aber kein Kabarett hier. Und Musiker brauch ich auch keine mehr. Wir haben fast jeden Abend Programm, und Springer hab ich genug. Mehr lohnt sich unter der Woche nicht für die paar Gäste.«
»Nun, wenn es denn keine Musique mehr gibt, so jagt man alsbald auch die letzten fort.« Er sah den bulligen Mann im schwarzen Rollkragenpullover eindringlich an. »Ich spiele Euch dreimal, und zwar nur für Kösten und Bier. Wenn es darob also keinen Nutzen geben will, so
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