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Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Titel: Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Baronsky
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Fingerspitzen über die Röcke gleiten, die an einer Wand aufgereiht hingen, allesamt grau und schwarz, und dachte wehmütig an die wundervollen Stücke, die er einst besessen hatte. Ein herrlicher Grünsamtener war darunter gewesen, den er allezeit gern getragen hatte, ebenso ein Königsblauer aus Brokat, mit einer wundervollen Litze an den Kanten. Am schönsten jedoch war der Rote gewesen, der ihn allerdings auch ein Vermögen gekostet hatte. Schließlich fand er, ganz am Ende der Wand, einen Ständer mit schöneren Stücken, cremefarben, grün und rot. Kaum dass er danach gegriffen hatte, stand schon ein Mann neben ihm.
    »Eine ausgezeichnete Wahl, der Herr, pflegeleichtes Mischgewebe, sehr angenehm zu tragen. Führen wir auch in Kurzgrößen.« Mit flinker Hand nahm er einen Bügel hervor, half Wolfgang in den Rock und schob ihn vor einen Spiegel.
    Das war doch etwas anderes als Ennos alte Weste! Wolfgang drehte sich, betrachtete sich von allen Seiten. Welch wunderbare Farbe, das Rot reifer Granatäpfel. So hatte ein respektabler Mensch auszusehen.
    »Dieses Angebot sollten Sie sich nicht entgehen lassen, mein Herr, wir gewähren vierzig Prozent Nachlass auf den Originalpreis.« Der Verkäufer griff nach einem Etikett, das am Ärmel befestigt war. »Der Anzug kommt komplett nur noch auf fünfundneunzig vierzig.«
    Erfreut sah Wolfgang den Herrn an, dann zu seinem Spiegelbild, spürte ein Lächeln auf seinen Lippen. Er trug just einen Schein von hundert Euro bei sich. Minuten später war er Besitzer eines eigenen Anzugs, und ihm war zum ersten Mal seit langem, als sei er ein ganzer Mensch.
    Diesem Zustand Rechnung tragend, mietete er für seine letzten Münzen einen cremegelben Toyota und ließ sich, durch die allmählich erstrahlende Stadt, ein Stück weit nach Hause chauffieren.
     
    Zuerst wagte er nicht hinzusehen. Sie hing an einer Hauswand wie eine Erscheinung und lachte ihm zu, während feine Schaumbläschen an ihrem vor Nässe glänzenden Körper herabglitten, über die Schulter, den Ansatz der nackten Brust, die Taille und schließlich über das wohlgeformte Hinterteil, so prall und glatt, dass er unwillkürlich ein Kribbeln in seinem Schoß spürte und sich vorsichtshalber die Kleidertüte vor den Schritt hielt. Der Kutscher indes saß nur mit schläfriger Miene auf seinem polsternen Kutschbock und grüßte einen vorbeirollenden Kollegen. Sobald die Fahrt beendet war, konnte Wolfgang nicht widerstehen,den Weg zu Fuß zurückzugehen und das vollkommen nackte Weibsbild noch einmal zu betrachten, aus den Augenwinkeln freilich nur und von der anderen Straßenseite. Die Männer indes, die an ihm vorübergingen, sahen sich nicht einmal um. Kopfschüttelnd machte er sich auf den Heimweg. In was für eine ruchlose Zeit man ihn entsandt hatte, wo kein Frauenbein, keine nackte Schulter, ja nicht einmal mehr ein vollkommen nacktes Weibsbild zur Empörung aufrief! Verstohlen warf er einen letzten Blick auf die glänzenden Schenkel, schlug die Augen nieder und eilte davon.
     
    Doch gab es freilich Wichtigeres denn nasse Schenkel, und wären sie noch so nackt gewesen. Auf einem seiner Streifzüge nämlich hatte Wolfgang entdeckt, dass in schweren schwarzen Lettern
Die Zauberflöte
auf dem Spielplan des Opernhauses geschrieben stand. Seither fieberte er jenem Datum entgegen, ließ Puccini, Wagner, Verdi aus, ja versagte sich gar die Jause im Kaffeehaus, nur um die drei letzten blauen Geldscheine, die ihm geblieben waren, für dieses Ereignis zu verwahren. Mehr als einmal fragte er sich, ob es nicht seine Pflicht gewesen wäre, bei der Oper vorzusprechen, seine Dienste anzubieten, die doch kein anderer in seiner Weise zu verrichten verstand, und hätte er Piotr bei sich gewusst, so hätte er vielleicht das Herz gehabt. So tat er nichts denn ungeduldig ausharren, bis er endlich, zum fraglichen Abend, an der Reihe war, dem Kassierer seine Scheine hinzustrecken. »Ausverkauft, bedaure«, gab der nur zur Antwort, und Wolfgang hätte sich vor Verzweiflung nicht mehr gekannt, wäre er nicht schließlich noch zur Stehplatzkassa verwiesen worden.
    Sein Puls klopfte in raschen Vierteln, als er zu guter Letzt die Steinstufen des Opernhauses nach oben stieg und sich an den Rand der Balustrade drängte. Die Messingstange, die die Stehplätze von den Sitzreihen trennte,drückte fest in seinen Bauch, doch er nahm nichts wahr als den überirdisch klaren Gesang der Pamina, die sich gefesselt auf einer kargen Bühne wand. Was für eine

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