Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)
hob erneut den Taktstock, nochmals setzte das Orchester an, doch in diesem Moment riss eine Eingebung Wolfgang mit sich, und mit einer scharfen harmonischen Wendung verlor er sich in der nächsten Variation. Klischewski zuckte zusammen, einige Musiker, so auch der dicke Cellist, konnten sich nicht mehr bremsen und kleckerten in Wolfgangs Spiel. Als Wolfgang zu guter Letzt versöhnlich zu der ausgeschriebenen Kadenz überging, spürte er deutlich Erleichterung durch das Orchester schwappen.
Donnernder Applaus brandete los, wollte nicht enden, fand sich einen Rhythmus und pulsierte zu ihm empor.
Der Vorsitzende des Wohltätigkeitsvereins kam auf dieBühne, schüttelte Wolfgangs Hand so behutsam, als fürchte er, sie abzureißen, und nötigte ihn weiterzuspielen.
»Spielen Sie noch etwas, Herr Mustermann, was immer Sie wollen, aber spielen Sie!« Und Wolfgang zog den störenden Frack aus und improvisierte über ein Thema jener neuen Klaviersonate, die ihm Liebermanns Zahlenrätsel eingegeben hatte und die er seither
Liebermann-Sonate
nannte. Danach lohnte ihn nicht nur tobender Applaus, sondern auch das nunmehr wohlwollende Gesicht Gregor Klischewskis.
Noch auf der Bühne bekam er Blumen, die man ihm im Foyer wieder wegnahm, um ihm stattdessen ein Sektglas in die Hand zu drücken. Piotr stand schweigend neben ihm und strahlte über das ganze Gesicht.
»Mustermann, Sie sind ein Teufel!« Johannes Liebermann schoss wie ein hinkender Windhund auf ihn zu und schlug ihm auf die Schulter. »Kommen Sie, man brennt darauf, Sie kennenzulernen.«
Er zog Wolfgang quer durch die Blicke, die mit unbeirrter Gravitation folgten. Wolfgang saugte sie auf wie Märzsonne, verbeugte sich rechts, lächelte links und bemerkte den großgewachsenen Herrn erst, als er mit ihm zusammenprallte. Sekt schwappte und ergoss sich über dessen graue Hose. Wolfgang erschrak, starrte gebannt auf den langsam nach unten wachsenden dunklen Fleck im Schoß des anderen, presste sich die Hand auf den Mund und konnte doch nicht an sich halten, musste kichern und schließlich losprusten; ihm war, als löse sich etwas, das wie eine Horde winziger Teufelchen darauf gewartet hatte, sich endlich Bahn zu brechen.
Jäh spürte er Piotrs Fuß auf dem seinen, mühte sich um ein ernstes Gesicht und sah, wie die Umstehenden dem Herrn amüsiert auf den Schritt schauten.
»O je, ich, äh … bitte untertänigst um Vergebung, mein Herr, es war gewiss nicht meine Absicht, Sie zu …, zu …,be- äh -nässen, durchnässen, Ihnen, äh, in die Hosen zu machen …!« Wieder musste er prusten, japste nach Luft.
»Verzeihung …« Ein blutjunges Fräulein in weißer bodenlanger Schürze schob sich diensteifrig an Wolfgang vorbei. »Entschuldigung, Herr Auerbach …« Sie begann mit einem Tuch an dem Fleck zu tupfen, hielt jedoch augenblicklich inne, als sie die Unschicklichkeit ihres Tuns zu erfassen schien.
»Je nu …« Wolfgang grinste und klopfte dem Herrn versöhnlich auf den Arm, da er seine Schulter nicht erreichte. »Auch das ärgste Missgeschick mag seine guten Seiten haben, ein solches Vergnügen will unsereinem wohl gewöhnlich nicht zuteil werden, nicht wahr, mein lieber Freund?«
Mit hochrotem Kopf schob der Herr Wolfgangs Arm von sich. Wolfgang fühlte sich von Liebermann daran gepackt und zurückgezogen. »Mustermann«, raunte Liebermann, »beherrschen Sie sich, das ist Edward Auerbach.« Dann wandte er sich an den Befleckten: »Lieber Herr Auerbach, es tut mir sehr leid, unser Künstler ist wohl etwas angespannt nach dieser großartigen Leistung.«
Auerbach bedachte Wolfgang mit einem grimmigen Blick. »Eine großartige Leistung, in der Tat.« Er nickte knapp in Liebermanns Richtung und verschwand.
Liebermann stöhnte auf und nahm Wolfgang das Sektglas aus der Hand. »Meine Güte, Mustermann, hören Sie um Gottes willen auf zu trinken! Ich hatte alle meine Hoffnungen für Sie in Edward Auerbach gesetzt.«
»Dass mein Glas sich geleeret, nimmt einen anderen Ursprung, wie Sie sich selbst haben versichern mögen. Dass ich guten Humors bin und lustig, mag man einem rechtschaffenen Mann an einem solchen Abend wohl nicht verdenken.«
»Kannst du lustig sein zu Hause«, fuhr Piotr ihn an. »Aber nicht so reden mit Edward Auerbach. Mój Boże! Hast du einmal Chance in Leben und wirfst du weg!«
»Wer in drei Teufels Namen ist dieser Auerbach, dass man solch Aufhebens um ihn macht?«
Die Blicke Liebermanns und Piotrs entzogen ihm den Boden, kaum dass
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