Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)
dann sagte er es: »Du tust es eben.«
»Ach?« Sie wandte ihm ihr Gesicht zu, erstaunt. »Hast
du
das eingespielt? Echt?«
»Mitnichten. Ich habe es komponiert.«
Sie stutzte, lachte hell, wurde schlagartig ernst. »Ah ja, du, das ist klasse, weißt du,
Origin of the Species
, das hab übrigens ich geschrieben!« Sie prustete.
Verwirrt suchte er in ihrem Blick nach Aufschluss, doch ihre Augen blitzten nur keck.
» Die Entstehung der Arten
, Darwins Evolutionsbuch, hast du doch sicher von gehört.«
Die Musik stand im Raum wie ein vergessener Koffer.
»Oh, sorry.« Sie schlug sich mit der Hand auf den Mund.
»Du meinst, du hast das – wie heißt das? – arrangiert, oder?Jetzt verstehe ich. Tut mir leid. Ich dachte, du machst Spaß, ich weiß doch, dass das von Mozart ist.«
»Spaß, gewiss.« Kein Lächeln gelang ihm. Unverwandt der Wechsel nach Moll, Tränen stiegen ihm auf, er schluckte dagegen an, setzte sich auf und presste das Gesicht gegen seine Knie. Er spürte Anjus Hand auf seinem Rücken, kämpfte, sein Körper schütterte unter ihrer zaghaften Bewegung.
»Wolfgang? Was ist?«
Er schniefte knapp, wischte verstohlen seine Tränen in die Bettdecke und richtete sich auf. Was für ein jämmerliches Bild er abgeben musste. Ein flennender Liebhaber, welche Schmach! Entschlossen atmete er durch. »Ent sinnst du dich des Tages, da ich in deinem Zimmer schlief? Bis heute frage ich mich, wie ich damals dorthin gelangt bin, wie ich jenen Ort verlassen konnte, an dem ich vorher war. Das war gewiss die eigentümlichste Reise, die ich je gemacht habe. Und ich habe derer zahlreiche unternommen.«
Anju zog die Brauen zusammen. »Was war das denn für ein Ort, an dem du gewesen bist?«
»Nun, ich … lag zu Hause … in meinem Bett und dachte, ich müsse sterben.« Er griff ihre Hand, sah zur Zimmerdecke. »Ich war krank. Unheilbar krank. Ein Nierenleiden, das weiß ich heute. Damals vermochte man in einem solchen Falle nicht zu helfen. Ich …«
»Damals?«
Wolfgang atmete tief ein. »Es ist nicht so leicht zu erklären … In jener Zeit … Ach, ich …« Vielleicht sollte er einfach lachen und aufstehen und tun, als sei nichts gewesen, als habe er einen Scherz vergessen. Ja, das sollte er tun. Doch dann spürte er Anjus Hand, und wieder begannen seine Augen zu brennen. »Damals«, fuhr er fort, »war die Welt noch groß und die Nacht noch dunkel. Wir hatten des Abends ein Talglicht vor unserem Fenster zu entzünden,um die Straße zu beleuchten. Das kannst du dir nicht vorstellen, Anju, nicht wahr?«
Anju hob die Schultern. »Ich kenne Regionen in Indien, da machen sie es genauso. Wo hast du denn gelebt?«
»In Wien.«
Sie lachte. »Das hörte sich eher nach einer Missionsstation im afrikanischen Busch an. Vor deiner besonderen Reise, meinte ich.«
»Auch dereinst lebte ich in Wien. Zehn Jahre lang. Bis zum Dezember. 1791.«
Und dann begann er zu erzählen, von jenen Tagen, in denen er den Tod schon gespürt hatte, von seiner Angst, die Zeit könne ihm davonlaufen, von seiner letzten Nacht dort und dem Erwachen in dem fremden Bett. Anju saß vor ihm, hielt seine Hand und schwieg.
»Nun weißt du, nur du allein, warum ich euch zuweilen so wunderlich erscheine, und es muss göttliche Weisheit und Vorsehung gewesen sein, dass ich just in deinem Zimmer aufgewacht bin, Anju, meine Liebe Anju.« Er schloss die Augen, hob ihre Hand an seine Lippen und hielt sie lange Zeit dort.
Er sah eine Träne in Anjus Augenwinkel glitzern und griff nach dem Siemens, drückte, bis er das Allegro fand. »Hör nur! Es ist eine ganz fröhliche Musik.«
Der Einbruch nach Moll strafte ihn Lügen.
»Ich … komme gleich wieder.« Anju kletterte aus dem Bett, nahm ihren Morgenmantel, verschwand; er hörte eine Tür klappen, dann Stille, eine Ewigkeit lang. Als sie wiederkam, sah sie bleich aus trotz ihres dunklen Teints.
»Wolfgang. Du solltest mit niemand anderem darüber reden.« Ihre Hand strich sachte über seine Wange. »Versprich es mir. Ja?«
Er hörte, wie sie atmete.
»Ich … ich möchte, dass du mich jetzt allein lässt, Wolfgang. Bitte. Geh.«
Ihr angstvoller Ton schnitt in sein Herz. Er kleidete sich an und wusste nicht warum. Sie führte ihn in den dunklen Korridor, presste sich kurz und fest gegen seine Brust und lief zurück in ihr Zimmer. Sein Hals wurde eng und enger, er hörte sein »Adieu«, hörte die Wohnungstür ins Schloss fallen und ein Weinen, wie von fern.
Feuchter Wind trieb Blätter
Weitere Kostenlose Bücher