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Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Titel: Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Baronsky
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über den Gehsteig. Wolfgang war, als schwämme er, durch endloses Meer, vergeblich mit den Füßen nach Grund tastend. Die Leere schmerzte, Wolfgang hob zu summen an, doch er wusste, dass es nicht helfen würde. Er schob seine Hände in die Jackentaschen, fühlte das Kärtchen zwischen Taschentüchern, Schlüsseln und einer leeren Semmeltüte. Er zog es hervor und warf es, ohne es anzusehen, in die nächste Pfütze im Rinnstein. Blieb stehen. Betrachtete das hellblaue Ding, das aus der braunen Brühe ragte, bückte sich und hob es wieder auf. Sie hatte ihn fortgeschickt, gewiss, doch nicht für immer. Sie liebte ihn, das sah er klar. Er würde ihr Zeit geben, Zeit, zu begreifen und ihn zu verstehen, bis sie wieder ganz bei ihm war. Einstweilen würde er arbeiten, fleißig sein, sich ihrer würdig erweisen. Sie sollte ihn spielen hören, eines Tages, auf einer Bühne, die ihm Ehre machen würde.
    Vorsichtig wischte er das Kärtchen an seiner Hose ab. Das Bild darauf war undeutlich und zeigte einen Mann, der strenggenommen nicht Wolfgang selbst, durchaus aber ein Bruder hätte sein können. Nur das Haar erschien ein wenig zu dunkel. »Eberhard Pall-ou-ss-c-z-i-c-z-k«, las Wolfgang, versuchte es auszusprechen und wusste nicht, wie. Mit dem dissonanten Gefühl gestohlener Nähe zu einem Unbekannten schob er das Kärtchen entschlossen zurück in seine Jacke und strebte der U-Bahn zu.
     
    Die Tage vergingen, doch Anju blieb aus. Er hatte ihr die Nummer von Piotrs Siemens genannt und bestand darauf,dass der Geiger es Tag und Nacht angeschaltet ließ, aber es blieb still. Er glaubte noch ihren Schweiß auf seiner Haut zu spüren, unterließ es, sich zu waschen, bis Piotr unfreundlich wurde. Wolfgang flüchtete in das Badezimmer, vergoss Tränen und wusch sie unter der Dusche fort. Er musste sich zur Arbeit zwingen, versuchte sich an einem Trauermarsch und schrieb kurzerhand ein fideles Oktett in dem Gefühl, Albernheit in den dunklen Sumpf seines Innern gießen zu müssen. Das Requiem fiel ihm ein. Noch immer hing die bange Frage über ihm, was würde, wenn es fertig wäre. Vielleicht konnte er, ja, sollte er alldem ein Ende setzen? Er breitete die Seiten auf Piotrs Kacheltisch aus, las in dem Geschriebenen, suchte einen Schreibstift, zögerte, ahnte, fürchtete, rollte die Bögen unverrichteter Dinge wieder zusammen, stülpte einen Gummiring darüber und dachte kurz an Mado wie an ein längst verlorenes Leben. Rastlos lief er durch die Stadt, klingelte vergeblich an Anjus Wohnungstür und saß des Abends im
Blue Notes
, spielte, ohne zu wissen, was; stets den Blick auf den Eingang gerichtet. Sein Herz tat ihm weh, es war nicht groß genug für eine so unermessliche Sehnsucht.
     
    »Telefon für dich«, mit erhabenem Gesicht streckte ihm Piotr das Siemens entgegen.
    »Anju!«
    »Herr Mustermann?«
    Wolfgang sank in sich zusammen.
    »Herr Mustermann? Bangemann hier, von der Agentur Kracht.«
    »Ja«, brachte er matt hervor. »Ich habe einen Ausweis.«
    »Ähm, das ist wundervoll, Herr Mustermann, freilich ist es dafür nun ein bisschen zu spät, nicht wahr?«
    Wolfgang schwieg.
    »Herr Mustermann, ich hätte vielleicht ein Engagement für Sie im Musikverein. Ganz kurzfristig allerdings. WennSie Zeit hätten, gleich heute Mittag in mein Büro zu kommen …? So gegen drei, sagen wir?«
    Wolfgang wartete. Besann sich dann. »Ein Engagement, gewiss, ja. Ich werde zur Stelle sein.« Er ließ das Siemens sinken. Die Musik aus dem Mechanikum mochte er noch akzeptieren, schließlich tat man etwas hinein, damit es wieder herauskam. Doch Stimmen, die ungehört durch die Luft reisten, ließen seine Gedanken über Kreuz fliegen.
    »Was? Hast du Engagement von Agent? Wo?«
    »Im Musikverein.« Er schluckte. Ob sie je anriefe?
    »In Musikverein! Wann?«
    Wolfgang hob die Schultern. »Kurzfristig, hat er gesagt.«
    »Wolfgang! Machst du andere Gesicht, sofort, ist Beste, was kann passieren. Musikverein!« Dann legte er traurig das Siemens zur Seite. »Ist erste richtige Konzert für dich und kann ich vielleicht nicht dabei sein, wenn ich bin in Polen. Aber weiß ich, wenn ich komme zurück, hast du Engagement jede Woche. Wirst du endlich berühmt, wie du hast verdient!«
     
    Angetan mit einem frischen Hemd und dem Ausweis in der Tasche, sprach Wolfgang bei Agent Bangemann vor.
    »Herr Mustermann, wir haben ein Problem mit einem Pianisten. Ein ausgezeichneter Mann, Mozart-Interpret, sucht seinesgleichen. Sollte nächste Woche im

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