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Herr Tourette und ich

Herr Tourette und ich

Titel: Herr Tourette und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelle Sandstrak
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Heimatland als auch in Stavnäs, wo ich auch einen kleinen Bauernhof betreibe, abgesehen davon, dass ich dort im lokalen Freitanztheater sehr aktiv bin. Meine physischen Ausdrucksmittel plane ich nicht groß, es geschieht einfach – ich stelle mich auf den Stuhl, strecke die Arme zur Seite, schaukele vor und zurück, schwinge nach rechts, schwinge nach links, ehe ich mit einem kleinen Geräusch abschließe, brrrrrrr , wie eine echte Boeing-747-Turbine. Schweigen. Kein Applaus, keine hysterischen Schreie oder verständnisvolle Blicke von den anderen. Von mir selbst kommt – Zucken im Bauch, Geräusch, Applaus, Boeing 747 . Das Schweigen breitet sich weiter aus. »Spannend«, sagt einer der Männer aus der Jury, ehe das Mädchen mit dem tief ausgeschnittenen Pullover erzählt, wer sie ist. Ein paar Minuten später ist wieder Applaus und hysterisches Schreien zu hören, und ich bin derjenige, der versucht, am hysterischsten zu schreien, aber das Hysterische will immer noch nicht rauskommen.

    Ich merke, dass das Mädchen, das auf dem letzten Stuhl sitzt, vorsichtig zu mir herüberlächelt. Sie hat auch während meines Vortrags gelächelt, war die Einzige, die freiwillig gelächelt hat. Ich denke, dass sie wirklich verdammt süß ist. Ich würde nur zu gern meine Nase unter ihrem Kinn parken, ihre Ohren und Lippen mit meinen Lippen streicheln. Sie wirkt so selbstgewiss, als würde sie dasitzen und uns andere beobachten, sie ist weder hysterisch noch applausgeil. Ich kann nicht anders als sie anzusehen, und ich glaube, sie merkt es. Bestimmt wird sie ein großer Star werden, denke ich, sie hat so etwas von einem Star an sich, sie könnte leicht Jessica Langes kleine Schwester sein. Ich sehe mich um und betrachte die anderen Auserwählten. Nehme Fakten auf – von den zwanzig Kandidaten sind acht Jungs. Von uns acht Jungs sind, das sehe ich gleich, fünf definitiv homosexuell. Also bleiben noch drei Heterosexuelle – der Oberirre mit dem Pferdeschwanz, Johnny mit den neunzig Kilo und ich. Somit sollten meine Chancen, eine Nacht mit einem der Mädels zu verbringen, ziemlich groß sein, und das bei recht niedrigem Einsatz. Der Gedanke an die kommenden Nächte gibt mir neue Hoffnung und Nachschub an Selbstvertrauen. Vielleicht wird das Theater doch zu einer neuen Auszeit in meinem Leben werden, vielleicht liege ich schon in drei Monaten auf dem Rücken und schnüffele an Saras Kinn und Lippen und Ohren und Haaren. Sie heißt nämlich Sara. Und sie hat überhaupt noch nie Theater gespielt, sie tanzt. »Ich tanze auch Freitanz«, sagt sie lächelnd und sieht mich während ihrer Vorstellung an. Sie steht auf, legt die Hände vors Gesicht, schlägt die Handflächen hart aufeinander, mindestens viermal, als würde sie eine Art Theaterflamenco betreiben. Dann atmet sie schwer und lange. Hysterischer Applaus, Schreie und Lächeln. Und ich lächele, hab aber keine Lust mehr auf das Hysterische.

    »Du hast dich also schon mit Eisbären gekloppt?«, fragt sie mich in einer der Pausen.

    »Doch …«, antworte ich.

    Sie legt die Hand auf meine Schulter, und es fühlt sich merkwürdig an, dass eine Frau wie sie ihre Hand auf meine Schulter legt, und das freiwillig. Es juckt im Körper, das muss die dreifache Dosis Selbstvertrauen sein, die ins Blut gepumpt wird. Sie redet weiter:

    »Deine Vorstellung hat mir echt gefallen.«

    »Danke«, sage ich und merke, dass ich völlig ungeübt darin bin, Konversation zu betreiben. So viele Sätze habe ich seit … seit überhaupt noch nie mit jemandem geredet.

    »Sara«, sagt sie und hält mir die Hand hin.

    »Kristinus«, erwidere ich und tue so, als sei meine Hand verletzt. Ich wage nicht, ihr meine kaputtgebissenen Finger ohne Haut zu zeigen. Ich schäme mich für mein Aussehen, dafür dass ich stinke und für die Leopardenflecken, die jederzeit auch auf der Stirn auftauchen können. Eigentlich sollte ich in die nächstgelegene Kirche rennen, auf die Knie fallen und einem möglichen Gottvater im Himmel dafür danken, dass eine Frau mich freiwillig anfasst, freiwillig mit mir redet, mich freiwillig anschaut. Sie wirkt jetzt genauso entspannt wie vorhin auf dem Stuhl. Und sie isst ein Brot, ein Gurkenbrot, während sie mich ansieht und lächelt. Sie lächelt weiter, betrachtet das Brot und die Gurken und lächelt wieder.

    »Warum willst du denn mit dem Tanzen aufhören und mit der Schauspielerei anfangen?«, frage ich.

    »Ich werde nie aufhören zu tanzen. Das Theater ist lediglich ein

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