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Herr Tourette und ich

Herr Tourette und ich

Titel: Herr Tourette und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelle Sandstrak
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anderes Ausdrucksmittel.«

    »Jetzt nimm es nicht als Anbaggern«, sage ich, »aber mir hat deine Vorstellung sehr gut gefallen.«

    »Ich nehme es als Anbaggern, aber ich glaube dir trotzdem.«

    »Du warst absolut unhysterisch.«

    »Unhysterisch?«

    »Absolut.«

    »Du meinst, ich war am wenigsten hysterisch?«

    »Ganz genau.«

    »Danke, gleichfalls.«

    »Danke.«

    »Und hier stehen wir nun. Die am wenigsten hysterischen Kandidaten der Schule«, lächelt sie und legt ihre Hand wie zum Ausruhen auf meine Schulter.

    Der Unterricht geht den ganzen Nachmittag weiter. Nach dem Mittag hat sich die schlimmste Hysterie gelegt. Übrigens esse ich mit Sara zu Mittag. »Du bist ganz sicher ein begabter Tänzer«, sagt sie, aber sie glaubt mir kein bisschen, dass ich in Stavnäs ein Freitanztheater betreibe. Ich gestehe. Und das fühlt sich gut an. Ich gestehe einfach, und sie lacht einfach. Das ist eine perfekte Kombination, finde ich, die Gedanken entstehen lässt, neue Gedanken, leicht absurde Gedanken. Mitten im Unterricht sehe ich plötzlich die Zukunft leuchten: Sara und ich suchen Schutz vor einem Gewitter, wir brechen in ein altes, verlassenes Auto ein. Wir setzen uns auf den Rücksitz, Haare nass, Wassertropfen in den Augen, offen für alles, lächelnd. Wir küssen uns. Ich weine vor Liebe, weine, weil ich nicht zwangshandeln und ritualisieren muss, ehe ich sie küsse, ehe ich sie packe, ehe wir auf dem Rücksitz des alten Autos miteinander schlafen. Und hinterher erzähle ich ihr von der Zeit, als ich krank war und in einem alten Chrysler gewohnt habe .

    »Kristinus«, ruft jemand im Hintergrund. Es ist einer der Lehrer, der meinen Traum unterbricht und mich bittet, auf dem Fußboden Platz zu nehmen und zusammen mit dem Pferdeschwanztypen eine brüderliche Zu-Hause-in-der-Küche-Szene zu improvisieren. Er liegt an zweiter Stelle auf meiner Liste der ärgerlichen Typen. Immer will er lustig sein, aber jetzt soll er meinen Bruder geben, meinen Bruder, der also zu Besuch gekommen ist, in meine Küche. Wir haben keine Messer oder Löffel oder Teller, wir sollen so tun als ob. »Imaginäre Zustände« heißt die Übung. Der Pferdeschwanztyp fängt wie immer mit einem Witz an. Und plötzlich verspüre ich so eine wahnsinnige Wut in mir, es ist, als müsse alles Verderben den Pferdeschwanzschnulli jetzt auf der Stelle heimsuchen. Ich überfahre ihn total, vollkommen egoistisch, gebe ihm keine Möglichkeit, mich zu unterbrechen oder mit eigenen Sätzen zu kommen. Ich lasse einen fünfminütigen Monolog vom Stapel, über das Leben und die Trauer, über die Hölle auf Erden und den Himmel im Meer, und erst als die Glocke der Juroren klingelt, begreife ich, dass ich wieder meinen Peer-Gynt-Monolog gehalten habe, nur jetzt spielt er sich zusammen mit meinem Pferdeschwanzbrüderchen in der Küche ab. Ich halte meine linke Hand unter dem Kinn des Pferdeschwanztypen, und die rechte zwischen seinen Beinen. Er stöhnt und keucht. Einer der Juroren unterbricht die Improvisation:

    »Danke, das genügt, danke.« Hinterher sagt er: »Ausgezeichnet. In der Szene und genau in dem Moment hattet ihr wirklich was Gemeinsames, haltet das fest, vergesst es nicht.«

    Der Pferdeschwanztyp sieht mich verschüchtert an, als hätte er Angst, ich könne das ernst gemeint haben, und genau das fürchte ich auch.

    Ich merke, dass es mir nach so einer Explosion gut geht, der Energiekick hilft, Tics und Gedanken auf Abstand zu halten. Ob der Ausbruch auch eine künstlerische Komponente hat, ist eine ganz andere Sache.

    Ich halte mich immer mehr im Hintergrund, so kann ich einzelne Rituale ausführen, indem ich so tue, als würde ich mich dehnen. Das ist eine wahnsinnig stressige Angelegenheit, aber ich bleibe ganz gut im Fluss, schaffe es, teilzunehmen, ohne wirklich dabei zu sein. Und wenn ich wieder Energie aus dem Körper rauslassen muss, dann übertreibe ich ein wenig, stöhne extra laut, mache vom meisten etwas zu viel. Dafür werde ich sogar vom Stimmpädagogen gelobt: »Gut so, ja, schön, lass die Stimme los.«

    Zucken im Bauch .

    »Hier ist noch frei«, ruft Sara. Ich kämpfe mich zu ihrem Tisch vor. Sie scheint auf jemanden zu warten. Und dieser Jemand kommt durch den Speisesaal geschritten, wirft seine Tasche auf den Tisch, der Sara von mir trennt, und dann fängt er an, sie leicht und luftig über das ganze Gesicht zu küssen, das Schwein .

    »Das ist mein Freund«, lächelt Sara.

    »Ach so«, sage ich.

    »Das ist

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