Herr Tourette und ich
über mich herein, und ich schaffe es nicht, auch nur die Hälfte von ihnen zu kontrollieren, ehe sie sich in einen Tic oder einen schrägen Gedanken oder ganz einfach einen Bodycheck für mich selbst verwandelt haben.
Ich fange an, immer öfter für mich allein rumzuhängen. Auf diese Weise vermeide ich eine Menge unnötiger Impulse und Gedanken und Blicke. Es geschieht relativ oft, dass ein paar Jungs mir zurufen, ich solle zum Fußballplatz runterkommen und mitspielen. Ich schieße Tore, ganz gleich wie Gegenwehr, Wetter oder Torverhältnis aussehen. Nur selten spiele ich den Ball oder den Puck ab, von außen betrachtet bin ich im Spiel der totale Egoist, aber ich mache Tore und erlange auf dem Spielfeld eine gewisse Popularität. Kurz gesagt ist es gefährlich, sich mir entgegenzustellen, nicht weil die Gegenspieler in acht von zehn Fällen verlieren, sondern weil sie in zehn von zehn Fällen vom Platz hinken, wenn sie zufällig meinen Impulsen in die Quere gekommen sind, meiner allgemeinsportlichen Begabung , wie es der Sportlehrer zu sagen pflegte. Inzwischen hat er aufgehört, meine körperliche Begabung zu kommentieren – als hätte er Angst vor mir, oder zumindest vor dem Allgemeinsportlichen . Im Klassenzimmer bin ich wieder zurück im Waffelteig – Salamiarsch, Poritze, still jetzt, Boeing 747, x, z, y, Blut und halt die Schnauze, Fischhirn. All das ist zu einem natürlichen Teil des Klassenzimmers geworden, ein Teil von mir. So ist es. Ich mache weiter, stelle meine eigenen Ausflüge, Eindrücke oder Abdrücke niemals in Frage. Ich werde bemerkt, aber nicht beachtet. Ich bin dabei, aber lehne mich nicht cool genug an, rede nicht entspannt genug.
Die Stimmen der Lehrer kommen mir monoton vor, ich spende ihren Ansagen und positiven Kommentaren nicht mehr so viel Aufmerksamkeit wie früher. Sie sind nicht gefährlich oder bedrohlich, die Wirkung ist einfach dahin, als wären sie neutral geworden und würden sich bemühen, mir neutral zu begegnen. Ich gewöhne mich an die Kommentare der Klassenkameraden, vielleicht leidet die Umwelt mehr unter mir als ich unter ihr. Ich bitte nicht um Mitleid für etwas, woran ich nicht leide. Aber vielleicht vermisse ich doch diese Stimmung und Intensität. Sie regt mich an, gibt mir Kraft, mitten in einem verdammten Schützengrabenkrieg zu sein, sich mit einer Jetturbine zu schlagen. Doch, vielleicht vermisse ich die Stimmung, ohne mir dessen bewusst zu sein. Es ist, als würden sich alle gemeinsam aus dem Schützengraben davonmachen, als würden alle das Fest beenden, um nach Hause zu gehen und stattdessen Frühstücksfernsehen zu gucken. Also nehmen Langeweile und Wut immer mehr Raum in meinem Körper ein, und der Körper gibt nichts so furchtbar Spannendes zurück. Außer stabilen Tics und einer inneren Unruhe fühlt sich der Körper entweder müde oder überdreht an. Ich kann die Gedanken und Tics nur in den Griff kriegen, indem ich die Sache in meine eigenen Hände nehme und meine eigene Stimmung schaffe. Das ist nichts, worüber ich nachdenke und das ich plane, es geschieht einfach, ebenso natürlich, wie vor dem Pinkeln den Reißverschluss runterzuziehen. Deshalb bleibe ich in den Pausen immer mehr für mich. Denke, schaue, nehme auf, sortiere weg, schließe die Gedanken kurz.
Die Geräusche vom Schulhof machen mich wütend, beschweren die Gedanken, lassen es am ganzen Körper jucken. Außerdem stinkt es auf dem ganzen Schulhof nach Salami. Ich kann nicht länger auf der Treppe sitzen, zu kalt am Hintern, und ich hasse Erkältungen, die machen meinen Kopf moosig und die Beine hüpfig. Wenn die Eindrücke zu zahlreich und zu intensiv werden, dann entziehe ich mich, schleiche mich runter zum Flur am Werkraum. Dort scheint mich niemand zu entdecken. Vor allem das Geräusch von dem leisen Ventilator ist es, das mich auf magische Weise dazu bringt, zu landen, mich zu beruhigen und das Jucken im Körper abzustellen. Zumindest für eine Weile. Ich lade die Batterien und inhaliere Energie in den Körper, indem ich einfach nur ruhig und entspannt dasitze und das Geräusch des Jetturbinenventilators genieße. Ich mag es wirklich, einfach auf dem Fußboden zu sitzen, nichts Besonderes zu denken, einfach nur dazusitzen und ganz frei an nichts zu denken. Außerdem riecht es gut. Ein ganz wunderbarer Duft dringt in Blut und Herz und Augen und Nase. Es geht mir so gut von diesem Duft. Ich ziehe ihn in die Nase, noch einmal, ein drittes und ein viertes Mal, yes Sir, I can
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