Herr Tourette und ich
bekloppter Fischpuddinghobel. Fang jetzt an, Mickerhirn.
Vier Minuten später:
Ich betrachte die Zahlen, versuche den Sinn in dem zu sehen, was die Aufgabe genannt wird – die mathematische Lösung. Ich schaue die x und die z und die y an. Gefährliche Buchstaben mit scharfen Kanten, die Löcher in irgendwas pieksen können. Irgendwas, was ein Mensch sein kann. Der Mensch kann einer sein, den ich kenne. Also können die Buchstaben ein Unglück verursachen. Ein Unglück, das in Tod enden kann. Deshalb scheiße ich auf Aufgabe 1A. Gut. Jetzt nur noch neununddreißig Aufgaben, dann ist die Arbeit fertig. Endlich habe ich angefangen. Jetzt. Jetzt geht es los. Fang jetzt an. Käsehobelhirn. Fang jetzt an. Mach weiter. Weiter zu 1B.
Zwei Minuten später:
1B.
Drei Minuten später:
Also … fang an, streich die halben x, z, y durch.
Zwanzig Minuten später:
So … die halben x, z, y sind weg. Gut. Jetzt kann ich endlich die Mathearbeit fertig machen.
Aufgabe 1B.
Obwohl … was zum Teufel ist es, was da vorne neben Lena stinkt? Hat sie womöglich wieder diese Seifencreme aufgelegt. Riecht nach Stockfisch. Stockfisch, mit grüner Fichtennadelseife vermischt. Vielleicht kriege ich einen Saab 900 Turbo zu Weihnachten. So in ungefähr zehn Jahren. Werde mir den selbst schenken. Sonst kann sich ohnehin niemand einen Saab 900 Turbo oder einen Citroën leisten, den man hoch- und runterfahren kann.
Minuten später:
Fang jetzt an.
1B.
Sekunden später:
Sollte ich vielleicht zu 1C springen?
Doch. Ich werde später auf 1B zurückkommen, stattdessen erst mal 1C. Die hat nur ein x. Gut.
Fang jetzt an. Jetzt geht es los. Gut. Jetzt kommt es drauf an.
Die Rasenmäherstimme unterbricht mich:
»Danke, die Zeit ist um.«
Ich schreibe weiter, die Vertretung wiederholt:
»Die Zeit ist um.«
»Ich bin noch nicht fertig«, antworte ich.
»Danke, ist schon ok.«
Ein Flugzeug nähert sich dem Dorf – Zucken im Bauch .
Ich schiebe den Stuhl so weit es geht zurück, aber ich sehe kein Flugzeug, kann es nur hören. Also schiebe ich den Stuhl noch mehr zurück, und noch ein wenig und …
Minuten später liege ich auf dem Boden. Ich merke, dass meine Haare ganz hinten im Nacken, wo der Nacken in die Schultern übergeht, feucht sind.
»Was ist? Wie ist das passiert? Was ist los?«, wiederholt die Rasenmäherstimme freundlich.
»Ich bin noch nicht fertig.«
Die Gruppe und ich
Mein Temperament ist mein bester Freund und mein schlimmster Feind. Es ist immer lustig, wenn jemand explodiert, und noch lustiger ist es, wenn die betreffende Person schreit und unkontrolliert um sich schlägt. Und noch mehr, wenn die Explosion mindestens dreimal täglich ausgelöst wird. Die anderen beginnen zu begreifen, dass ich schon hochgehe, ehe sie überhaupt noch die Zündschnur rausgeholt haben. Es genügt schon, dass jemand an einem Stift nagt, einen Bleistift abbricht, Mohrrüben isst oder zu lange auf einem Apfel kaut, und ich springe darauf an und explodiere.
Wie in jeder Klasse in allen Schulen in allen Ländern und Erdteilen, gibt es eine Gruppe von fünf, sechs Schülern, vor denen alle ein wenig Angst haben. Oskar, Ole, Jesper, Frank, Jomar. Jomar und Oskar sind am größten und am stärksten, Ole und Jesper sind als treue Helfer mit dabei, während Frank derjenige ist, der sich die Vorgehensweise überlegt, der die Lunte bereithält. Alle sind sie ein wenig größer und kräftiger als ich, wenn auch nicht auffallend stärker. Anfänglich waren es wohl mehr zufällige kleine Neckereien von ihrer Seite, aber inzwischen scheint es eine mehr oder weniger organisierte Form der Unterhaltung geworden zu sein.
Frank isst neben mir im Umkleideraum einen Apfel. Ich bedrohe ihn mit meinem Sportschuh und sage: »Jetzt friss diesen verdammten Apfel endlich auf!«, was dazu führt, dass die anderen anfangen zu lachen, und damit endet, dass ich zwanzig Minuten später selbigen Sportschuh mit Hilfe eines abgebrochenen Skistocks aus dem Schwimmbecken fischen muss.
Das ist der Beginn einer anstrengenden Zeit mit Schlägereien, Provokationen und Schneebälle-in-alle-möglichen-Körperöffnungen-Spiele. Das Ganze währt anderthalb Monate. Sie kriegen mich nicht klein, aber ich kann mir jetzt vorstellen, was es bedeutet, kleingekriegt zu sein. Aber ich schaffe es, auch wenn ich mich sehr, sehr klein fühle.
Die Schlägereien sind eigentlich nicht das Schlimmste, sondern die Geräusche sind es, mit denen ich nicht
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