Herr Tourette und ich
Hauptstraße hinunter, dann nach links, den Schotterweg hinab und durch das Tor. Ich bleibe auf dem Rücksitz sitzen, während Papa die Fahrt bezahlt. Gunnarsson lacht, als er mich da so ernst und nachdenklich sitzen sieht:
»Der Junge will den Luxus nicht hergeben«, lacht er.
Aber der Junge denkt:
Habe ich die Arme ausgestreckt, als das Auto an den Zaunpfählen vorbeifuhr, oder habe ich es etwas zu früh gemacht, oder etwas zu spät, oder was habe ich eigentlich gemacht?
Nachdem Gunnarsson weggefahren ist, muss ich mich zum Tor zurückschleichen und das Ritual noch einmal durchführen, nur zur Sicherheit. Raus mit den Armen, kleines Geräusch, durch das Tor mit einem konstanten brrrrr .
Als ich wieder ins Haus komme, ist Mama schon dabei, Papa über Kojak auszufragen. Sie macht den Umschlag auf und breitet kleine Tablettenheftchen auf dem Küchentisch aus. Sie mischt sogleich ein paar kleine weiße Tabletten ins Essen. Das hat Kojak angeblich empfohlen. So wie ich es verstehe, sind das keine gewöhnlichen Tabletten, sondern welche aus der Natur.
Nach dem Essen lege ich mich aufs Sofa, ich bin zufrieden und matt und ziemlich froh. Das war ein schöner Tag, eine kleine Pause von all dem anderen. Auf dem Couchtisch neben mir liegt die Lokalzeitung. Ich erkenne die blanke Glatze auf der ersten Seite wieder. Kojaks Augen sind rot, aber das muss die Schuld des Fotografen sein. Die Überschrift lautet:
»Homöopath erhält Preis in den USA . Lesen Sie das ganze Samstagsinterview auf Seite 14.«
Ich lese das ganze Samstagsinterview auf Seite 14.
Mein Schläger und ich und ein Goldfischmassaker
Mein neuer Bauer-Schläger ist noch viele weitere Wochen lang mein Kollege, Freund und Gesprächspartner. Mit dem Schläger neben mir fühle ich mich gestärkt und sicher – wenn er da ist, dann gibt es auch mich. Das Einzige, was mich ärgert, ist, dass ich nach wie vor nicht richtig weiß, was der Schläger leisten kann. Ich finde einfach keine richtigen Pucks, die seiner Schlagkraft entsprechen. Um meine Pucksehnsucht zu befriedigen, schlage ich also nach allem, was auch nur entfernt an einen echten Puck erinnert – Eisstücke, Plastikdosen, Tennisbälle, Aschenbecher. Dann entdecke ich: Je härter ich schlage, desto weniger juckt es im Körper. Es ist, als würde sich der Körper mit jedem Schlag ein wenig beruhigen. Das scheint eine viel wirkungsvollere Medizin zu sein als Kojaks Tabletten, die überhaupt nichts verändern – zumindest nicht bei mir. Mama und Papa hingegen leben in einem Zustand neuer Hoffnung.
Kojak hat mich gebeten, drei Pillen am Tag zu nehmen – morgens, mittags und abends. Er hat gesagt, dass er es meinem Körper abspüren könne, und durch die Blutprobe wurde er dann bestätigt, dass es mir an der für mein Alter normalen Menge Eisen, Zink und Kalzium mangelt. »Es ist wichtig, dass du die Pillen jeden Tag nimmst«, hat Kojak mehrere Male wiederholt. Und ich würde die Pillen ja nur zu gern jeden Tag nehmen … wenn sie nicht so verdammt weiß wären. Kleine, runde, weiße, eklige Dinger. Wie die weißen Flecke in gefleckter Wurst, das weiße Fett in der Salami. Das ekelt mich an – rund und weiß, fleckig und fleischig, Ansteckung und Bazillen, Tod und Verdammnis. Aber ich will Mama und Papa nicht weh tun, und deshalb versuche ich, sie zumindest einmal in der Woche zu nehmen.
Diese Woche habe ich Ordnungsdienst. Ich sammele die Milchkarten ein. Siebzehn Stück. Alle außer mir wollen Milch. Ich nehme die Milchkarten mit und verlasse das Klassenzimmer. Im Flur habe ich den Bauer-Schläger geparkt. Den nehme ich als Stütze mit und laufe zum Haupteingang. Die Dame an der Milchausgabe betrachtet die Karten, sieht mich ein paarmal an und platziert dann die Milchtüten vorsichtig nebeneinander in der Kiste. Eine nach der anderen, Reihe um Reihe, Abteilung für Abteilung. Ich schiebe den Schaft des Bauer-Schlägers durch die Milchkiste und trage sie wie ein Weihnachtsmann, der einen Sack Milchtüten auf seinem Rücken trägt, zum Klassenzimmer. Fest packe ich den Schläger, ich spüre das Holz, das Material, die Kraft. Er funktioniert ausgezeichnet als Flatterpuckschläger, Lobschläger, Fintenschläger, Schlagschussschläger … ja, wie steht es eigentlich mit dem Schlagschuss, funktioniert er eigentlich als Schlagschussschläger? Die Fischbulette hatte zwar ungefähr dieselbe Form wie ein richtiger Puck, war aber doch zu leicht, zu porös. Ein richtiger Puck. Wie komme ich hier,
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