Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herr Tourette und ich

Herr Tourette und ich

Titel: Herr Tourette und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelle Sandstrak
Vom Netzwerk:
jetzt, in der Schule an einen richtigen Puck?

    Ich sehe Gretzky allein in der Halle stehen. Er schlägt Pucks, die in einer Reihe aufgestellt sind, wie schwarze Backpflaumen bilden sie einige Meter von der Blueline entfernt eine gerade Linie. Gretzky geht vor. Er schaut zum leeren Tor, sieht dann zur Decke hoch, runter auf das Eis, auf die Pucks, die nur darauf warten, sein Schlägerblatt verspüren zu dürfen. Plötzlich explodiert er, schießt schnelle, harte, wohlgezielte, energische Schüsse. In zehn Sekunden ist alles vorüber. Zehn Sekunden, fünfzehn Pucks.

    Ich bleibe mitten auf der Treppe stehen. Schaue zum Flur des Naturkundetrakts.

    Und ich sehe das Aquarium. Ich schaue zu den Milchtüten hinten in der Kiste. Eins, zwei, drei, vier … Siebzehn Milchtüten. Ich nehme ein Milchpaket heraus. Lasse es in der Hand herumrollen, schiebe es auf den Fingerspitzen hin und her, spüre das Gewicht, mag das Gewicht, gutes Gewicht, perfektes Gewicht. Die Milch gibt dem Paket das Gewicht, das es braucht, damit der Widerstand im Schlagschuss dem Widerstand eines richtigen Pucks gleicht. Das Aquarium. Das Aquarium hat ungefähr dieselbe Höhe und Breite wie ein richtiges Tor. Ich habe siebzehn Milchpäckchen vor mir, und die Unterrichtsstunde geht noch fünf Minuten, und die Schussreihe selbst wird maximal zehn Sekunden dauern. Zucken im Bauch . Ich gehe die Treppe hinunter, stelle die Milchtüten nebeneinander, so dass sie eine lange rot-weiß-blaue Reihe bilden, zwischen jedem Paket exakt derselbe Abstand. Dann trete ich zurück, einen halben Meter von der ersten Milchtüte, ich drehe den Schläger, räuspere mich. Ich sehe zum Aquarium, das leere Tor, sehe zur Decke, runter aufs Eis, auf die Milchpakete, die darauf warten, das Blatt des Bauer-Schlägers verspüren zu dürfen.

    Boff sagt es, als das erste Milchpaket das Aquarium trifft. Guter Schuss, aber ich kann noch besser. Gretzky, Milchtüten, Puck, Eishalle, Aquarium, Bauer-Schläger – Zucken im Bauch .

    Siebzehn Schuss, siebzehn Milchpakete. Nach zwanzig Sekunden ist alles vorüber. Zwanzig Sekunden, siebzehn Milchpakete.

    Im Flur ist es immer noch still. Sekunden später fängt es an zu prasseln. Irgendein Prasseln. Ein weißer, wässriger Schneefleck gleitet auf mich zu und bleibt vor dem einen Stiefel stehen. Die Milch fängt jetzt richtig an, sich mit dem Wasser des Aquariums zu vermischen, das in der Mitte geplatzt ist. Nicht ganz. Nicht so schlimm. Es fließt zwar Wasser raus, aber das ist noch keine Katastrophe, kein Schaden, keine Fische tot … abgesehen von diesem kleinen Goldfisch, der entweder Milch mag oder akute Probleme mit der Atmung hat. Nach ein paar Sekunden schiebe ich ihn mit dem Schlägerblatt weg, da hört er auf, sich zu bewegen, auch gut, Goldfische sind sowieso völlig sinnlos, liegen immer nur im Weg herum, haben keinen höheren Nutzen – sie sind so süß und zu eklig gleichzeitig, nicht mal die Lachse mögen sie. Die Milchtüten … acht sind ganz, aus neun läuft die Milch heraus. Es ist, als würde ich aufwachen, der Rausch verzieht sich, Gretzky ist wieder zu Hause, aber ich, ich sitze in der Scheiße. Ich verstecke die neun kaputten Milchpakete im Papierkorb in der Toilette und lege die acht ganzen in die Kiste zurück. Als ich wieder im Klassenzimmer bin, sage ich es so, wie es war, dass nämlich nur noch acht Pakete Milch da waren, ansonsten wäre die Milch alle. Alle sind erstaunt, ich auch, über ihr Erstaunen.

    In der Pause ziehe ich mich in den Flur vorm Werkraum zurück. Ich gehe auf und ab, vor und zurück im Flur, und ich horche auf den Boeing 747-Ventilator, das Geräusch beruhigt mich, hilft mir, mich logisch und methodisch zu denken.

    Ich kann mir vorstellen, wie das Känguru und Fräulein Gemeinschaft nach mir suchen, nachdem sie die Wahrheit über die Milch und den Mord an den Goldfischen erfahren haben. Ganz bestimmt werden sie es dem Rektor und Papa petzen. Dabei war es doch nicht meine Schuld, es war die Kraft im Schläger. Ich erwäge, trotzdem nach Hause zu gehen. Es ist ja noch nicht mal gesagt, dass sie mich des Anschlags auf das Aquarium verdächtigen. Fräulein Gemeinschaft sollte mir lieber dankbar sein, wo sie doch die ganze Zeit Gerechtigkeit für alle Tiere und Menschen gleichermaßen predigt. Die Fische sollten auch zu diesem Kreislauf gehören, da gibt es also wohl nichts zu meckern für sie. Sie sollte mir lieber dankbar sein, weil die Goldfische endlich mal was Neues erleben durften, etwas

Weitere Kostenlose Bücher