Herrchenglück: Vom Chaos auf acht Pfoten
schönen Tages von selbst.
Er nagt den Saum meines Büroteppichs an. Anschließend legt er sich auf die sabbernasse Knabberstelle und verteidigt sie.
Abends erbeutet er eine Packung Tempo-Taschentücher. Ein willkommenes Betthupferl. Im Körbchen reißt er die Packung auf, nimmt vier Tücher auf einmal ins Maul und lässt sie nicht mehr los. Tempos quietschen übrigens, wenn man sie fest zwischen die Zähne nimmt. Das wusste ich bis dahin auch noch nicht. Den Rest der Nacht bewacht er seine Tücher. Wenn ich ihm behutsam und leise eines wegnehmen will, fasst er schlaftrunken nach.
Ein andermal bewacht er eine Tüte knochentrockener Brötchen. Die hängt im Garten an einem Baum und ist für unsere zwei Schafe Paula und Lieschen. Wiki setzt sich unter den Baum und pöbelt jeden an, der sich bis auf einen Meter nähert. Monsieur ist wie von Sinnen. Ich kühle sein Mütchen, indem ich ihn mit dem Gartenschlauch wegspritze.
Im Keller bewacht er die Hundefuttertonnen wie ein Panzer und in der Küche den gesamten Frühstückstisch.
»Der hat bei Ihnen aber viel Gelegenheit, seinen Beutekoller auszuleben«, sagt Frau Hagedorn.
»Sie haben recht«, gebe ich zu. »Aber der ist wirklich sau schnell. Er kommt mir immer zuvor. Außerdem bevorzugt er Sachen, die ich nicht einmal im Traum als Beute einstufen würde. Oder noch schlimmer: Das Zeug, das ihm gestern wich tig war, ist ihm heute wurschtegal. Manchmal bemerke ich auch gar nicht, dass er etwas ergattert hat. Neulich hat er sich unter den Küchentisch verzogen und einen Mordsrabatz veranstaltet, als ich ihn abrufen wollte. Hätte ich vorher gesehen, dass er auf einem Schulbrot saß, das er aus Maries Ranzen geklaut haben muss, hätte ich ihm und mir diese Situation erspart.«
»Beißt er etwa?«, fragt Frau Hagedorn.
»Nein. Aber meine Hand lege ich dafür nicht ins Feuer. Von Luna kennen wir so ein Verhalten gar nicht. Der konnte man von Anfang an jeden Brocken aus dem Maul nehmen. Das hat sie anstandslos zugelassen.«
»Na ja, Terrier sind halt anders.«
»Das können Sie laut sagen«, sage ich. »Luna hat ihm heute Morgen gezeigt, wo das Altglas steht. Das hat ihn so gefreut, dass er spontan von einer Essigflasche den Blechdeckel abschraubte und zerkaute.«
»Aua«, sagt Frau Hagedorn.
»Ein Wiki mit Blechdeckel zwischen den Zähnen sieht übrigens genauso aus wie ein Wiki ohne Blechdeckel zwischen den Zähnen. Das ist das Problem. Ich sehe nicht, dass er Beute hat.«
»Und prompt laufen Sie völlig unvorbereitet in die Konfrontation«, sagt Frau Hagedorn.
»Ja«, sage ich. »Aber normal ist das auch für einen Terrier nicht.«
»Ich habe gehört, dass die Vorbesitzer den Kleinen schon mit zwölf Wochen an die Heizung gebunden haben, weil er Sachen angenagt hat. Der hing an einer Zweimeterleine in einem Durchgang zwischen Wohnzimmer und Wintergarten.«
»Angebunden? Der?«
»Ja, leider«, sagt Frau Hagedorn. »Ich schätze mal, die ha ben nie etwas davon gehört, dass zahnende Welpen etwas zum Kauen brauchen. Da wurde wohl vorher auch kein einziges Welpenbuch aufgeschlagen, um zu erfahren, was auf einen zukommen kann. Vermutlich hat er dann vor lauter Langeweile seine Decke, sein Spielzeug und sein Essen bewacht. Als er anfing Kinder anzuknurren, die ihm seine Sachen wegnehmen wollten, wurde er als aggressiv eingestuft und abgegeben, vermute ich mal.«
»Sie schätzen und vermuten viel.«
»Ja, ganz sicher bin ich nicht. Es ist halt Hörensagen. Wie so oft. Das mit dem Anbinden scheint zu stimmen. Beim Knurren bin ich mir nicht ganz sicher.«
Aber ich!
Mein lieber Herr Gesangverein!
Wiki ist zwölf Monate alt. Ein vollpubertierender Halbstarker. Seit er hier ist, versucht er allen – Frau, Mann, Kind, Kind, Kind, Hund, Kaninchen, Kaninchen, Schaf, Schaf – seinen Stempel aufzudrücken. Mit viel Charme, aber eben auch mit einer überaus hartnäckigen Kompromisslosigkeit.
Ich staune.
Meine Frau sagt, ich solle Nervenstärke und Beuteknall einfach mal positiv sehen. Immerhin halte er beim Tauziehen stolze fünfzehn Minuten dagegen, obwohl er nur ein Drittel so viel wiegt wie Luna. Wunderbar sei auch, dass er sich in Wald, Feld und Flur von Lunas Ausrastern nicht anstecken lässt, sondern lässig nebenhertrabt. Außerdem räume er im Vorbeilaufen platte, sonnengetrocknete, knusprige Frösche von der Straße. Das sei doch Dienst an der Allgemeinheit und verdiene wohlwollende Beachtung.
Sie hat ja recht. Und wenn man nach Hause kommt, bringt er einem
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