Herrchenjahre
wirklich warten, bis es dunkel ist«, sagt Ralf. »Sonst denken die Nachbarn, du leidest unter einer seltenen Form von Schwindel.«
»Womöglich einhergehend mit hoher Fallneigung«, nickt Juppi.
»Keine Sorge«, sagt Walter. »Wir entspannen dich schon.«
»Ommm«, mache ich.
Luna kippt langsam auf die Seite und seufzt behaglich.
Wenn wir nicht faul in der Sonne liegen oder den Entspannungsfaktor von Weingütern prüfen, unternehmen wir ausgedehnte Spaziergänge durch die Wildschweinwälder. Lunas Jagdtrieb hält sich in angenehmen Grenzen, seit wir ihr im ersten Jahr die Erkenntnis ermöglicht haben, dass Jagen nicht sonderlich viel Spaß macht, wenn man plötzlich einer stinksauren Bache gegenübersteht. Dieser Moment wirkte so erzieherisch, dass Luna selbst angesichts ihrer Lieblingsbeute, toskanischen Katern, mehr oder weniger Ruhe gibt.
Toskanische Kater sind klein, mutig und unsichtbar. Sie kommen zu den unmöglichsten Zeiten an den unmöglichsten Stellen zum Vorschein und weichen keinen Millimeter. Sie sitzen auf Bäumen und Dächern, in Toreinfahrten, Ruinen und Remisen, hinter Ecken, Sträuchern, Autoreifen, Mülltonnen, unter Holzstapeln und obendrauf, vor Kirchen und Klöstern, in engen Durch- und Wandelgängen.
Manchmal stehen über ihnen auf dem Balkon ältere Damen und werfen stückchenweise Rinderleber in die Gasse hinunter. Der toskanische Kater verteidigt diesen Platz kompromisslos. Erst recht, wenn er zu dritt ist.
Soll man die Leber aufgeben, nur weil ein Hund kommt, der fünfundzwanzigmal schwerer ist als man selber? Wo käme man da hin.
Luna regt sich nicht sonderlich auf. Ich erst recht nicht. In der Beziehung gleiche ich der toskanischen Fliege. Völlig entspannt im Hier und Jetzt. Die Umstände in Signora Lombardis toskanischem Refugium sind aber auch traumhaft.
Du kannst knuspriges Brot in einen Teller gesalzenen Olivenöls tunken.
Du kannst mit guten Freunden teilen.
Du kannst in aller Seelenruhe Oh, schon halb drei? sagen.
Du kannst auf dem Rasen vor dem Haus liegen und, ohne den Kopf anzuheben, in das sonnenbeschienene Orcia-Tal sehen.
Du kannst den jahrhundertealten Glockenturm gegenüber betrachten und feststellen, dass es Wichtigeres gibt als das, was dich täglich plagt.
Du kannst sorgsam abwägen, welcher Wein im Abgang möpselt und welcher nicht.
Du kannst das bereits um elf Uhr morgens tun.
Du kannst auch mal nichts sagen und wirst trotzdem verstanden.
Auf wunderbare Weise überträgt sich diese berauschende Seelenruhe auf meinen Hund. Diesen Zustand dauerhaft etablieren und mit nach Hause nehmen – das wär’s! Nur wie? Ich weiß ja schon seit langem, dass es ausschließlich an mir liegt, wenn Luna zur Attacke bläst. Sie ist so drauf, wie ich drauf bin. Aber wie ich es auch mache, ich mache es verkehrt.
Kommt uns in Deutschland eine Hündin entgegen, nehme ich vorsichtshalber die Leine etwas fester in die Hand. Man kann ja nie wissen. Und prompt denkt sie: Leine fester
in die Hand? Oha, der Scheff wackelt, ich gehe lieber mal in Kampfstellung.
Nehme ich die Leine nicht fester in die Hand, sondern sage stattdessen Fuß , hört sie es am Klang meiner Stimme: Nein, das ist nicht das normale Fuß , das ist das Zick-jetzt-bloßnicht-rum-du-Kröte -Fuß. Resultat: Meine Güte, der Scheff wackelt schon wieder. Besser, ich knalle der anderen prophylaktisch eins vor den Latz.
Frontalbegegnungsvariante drei: Herrchen tiriliert vor sich hin und tut so als käme gar nichts entgegen. Oder allerhöchstens eine frische Bratwurst oder ein gut abgehangener Ochsenziemer. Im Verborgenen stößt er wahrscheinlich literweise Adrenalin aus – und wetten, das riecht der Hund? Schon ist wieder Alarm.
Die harte Tour gelingt ebenfalls nicht. Ein scharfes Nein, und wenn sie trotzdem prollt, fliegt sofort die Schelle. Na toll! In achtzig Prozent dieser Fälle flippt sie völlig aus. Ich hätte auch einen Hornissenschwarm nach ihr werfen können.
Die Toskana-Variante, die mit Entkrampfung durch orale Gaben von Grappa und Brunello arbeitet, ist natürlich totaler Blödsinn. Sie schlägt langfristig auf Gemüt und Gesundheit. Aber sie ist so verlockend.
Vor jeder Hunderunde drei Hochprozentige in den Kopf gießen, den Hund ableinen und ganz locker ausschreiten. Alternativ gehen auch drei Schoppen schweren Roten oder, für die Raucher unter uns, eine mitteldicke Tüte. Längere Gänge disponieren wir so, dass wir nach circa zwei Stunden an einer Gaststätte vorbeikommen, wo wir bei
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