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Herrengedeck

Herrengedeck

Titel: Herrengedeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Tamm
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sondern hundert Stundenkilometer. Andy stört das überhaupt nicht. Er schaltet mental in den Play-Station-Modus um, sprich er überholt rechts und links, und wenn es sein muss, auch auf dem Bürgersteig.
    Ich tippe ihm auf die Schulter und sage: »Halt mal ganz
kurz an. Ich will schon mal Holz sammeln und die Kreuze mit unseren Namen schnitzen, die dann später blumengesäumt am Straßenrand stehen.«
    Bernd kramt sein Handy raus, wählt Ulrikes Nummer und während er auf die Verbindung wartet, sagt er: »Ich komme mir vor wie einer der Typen, die am 11. September in der vierten Maschine in Richtung Washington saßen. Bevor sie gegen die Terroristen aufmarschiert sind und die Maschine abgeschmiert ist, haben die auch noch mal eben ihre Frauen angerufen.«
    Andy lacht. »Weicheier! Euch geht’s zu schnell? Na gut, ganz wie ihr wollt!«
    Ohne zu blinken, biegt er auf den Schotterparkplatz eines Landgasthauses ein. Dann steigt er in die Eisen, und zwar volle Kante. Da hilft auch kein ABS, kein ESP und schon gar kein menschliches Feingefühl mehr. Wir schlittern wie beim Stockcar-Rennen, drehen uns im Kreis, wirbeln eine Staubwolke von einer Dimension auf, die mich ebenfalls an den 11. September erinnert, und erst dann kommen wir zum Stehen. Immerhin genau vor der Tür des Gasthauses. Maßarbeit.
    Andy schaltet den Motor aus. Plötzliche Stille umgibt uns - abgesehen von den Schweißtropfen, die von Bernds Kinn tropfen und mit einem seltsam lauten Platschen auf dem Ledersitz aufschlagen.
    »War das geil oder war das geil?«, schreit Andy.
    »Supergeil«, antworte ich genauso euphorisch.
    »Echt großartig«, sagt Bernd mit Flüsterstimme. Dann steigt er aus und kotzt erst einmal großzügig ins Gebüsch.

     
    18:35 Uhr: Die Eifel zählt zu den am wenigsten besiedelten Gebieten Europas. Deswegen kann es einen auch nicht wundern, dass es hier Wölfe, Katholiken und Manuel Andrack gibt, der hier wandern geht. Außerdem gibt es Gasthäuser, gegen die der Zapfhahn , in dem wir neulich waren, geradezu modern ist. Die goldene Gans , vor der wir gerade gehalten haben, ist das beste Beispiel. Wir betreten die Gaststube und wissen sofort, dass hier seit dem Mittelalter kein Fenster mehr aufgemacht wurde. Uns umfängt ein Aroma aus Zigarrenqualm, Graupensuppe und abgestandenem Bier, das vermutlich noch nach antikem Vorbild in Tongefäßen gebraut wird.
    Wir setzen uns an einen der Tische und kurz darauf erscheint eine Kellnerin, die zum Glück alles andere als eine goldene Gans ist. Im Gegenteil: Sie ist eine pralle, gut gelaunte Mittdreißigerin, an der alles dran ist, was zu einer richtigen Frau gehört, inklusive einem strahlenden Lächeln. Die etwas miefige Umgebung habe ich sofort vergessen, denn die Kellnerin ist genau der frische Wind, den ich hier anfangs so vermisst habe.
    Sie stellt sich vor unseren Tisch, mustert uns amüsiert, und sagt dann mit einer warmen, aber auch ziemlich spöttischen Stimme: »Na, Jungs. Habt ihr gerade den Führerschein gemacht? Oder wollt ihr Stuntmen werden, wenn ihr mal groß seid?« Daraufhin kniept sie mit den Augen und fragt, womit sie uns verwöhnen kann.
    »Indem du dich zu uns setzt, hübsches Kind«, antwortet Andy mit seiner halbseidenen Rapsölstimme.
    Sie lacht. »Tut mir leid. Aber mich kann man hier leider nicht bestellen. Werft also lieber’nen Blick in die Karte.«

    »Und wenn wir den Küchenchef fragen, ob er eine Ausnahme für uns macht?«
    »Kannst es ja probieren. Aber der Küchenchef ist zufällig mein Vater und der wird dir höchstens die Ohren langziehen.«
    Ich schalte mich in das Gespräch ein und sage: »Und das wollen wir garantiert nicht. Schließlich soll er für uns kochen! Wir haben nämlich Hunger.«
    Sie sieht mich wohlwollend an und sagt: »Na also! Einer von euch dreien weiß ja doch, wie man sich benimmt.«
    Sie schenkt mir ein bezauberndes Lachen und Andy einen finsteren Blick von der Seite. Und ich weiß augenblicklich, dass ich der Eifel unrecht getan habe.
     
    19:05 Uhr: Es gibt Eins-a-Schweinebraten, Salzkartoffeln und dazu Erbsen und Möhren aus dem Glas - ganz so, wie wir es mögen. Den Salat hat uns Marion, so heißt die Kellnerin, erst gar nicht gebracht, weil sie meinte, dass wir ihn ja sowieso nicht essen würden. Stimmt.
    Das Bier, das sie uns serviert, stammt übrigens nicht aus dem Tontopf, sondern aus dem nahe gelegenen Bitburg. Nach der langen Autofahrt saufen wir es mit der gleichen Geschwindigkeit wie unser Auto vorhin den Treibstoff.

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