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Herrengedeck

Herrengedeck

Titel: Herrengedeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Tamm
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nicht mal zweideutige Blicke. Könnte ich heute sowieso nicht. Ich hasse Frauen.
    Okay, außer eine. Aber die ist halt nicht da. Und ausnahmsweise werde ich an diesem Tag auch nichts unternehmen, um sie zurückzugewinnen. Muss einfach mal auf andere Gedanken kommen.
    Gehe stattdessen mit Andy und Bernd in eine Kneipe, die Zum Zapfhahn heißt und den Originalcharme längst vergangener Zeiten ausstrahlt. Das Holz der Tische glänzt schwartig-dunkel, die Tapeten sind klebrig und schimmern in einem matten Nikotingelb, und die Vorhänge sind absolut blickdicht, weil sie vermutlich noch aus der Zeit der Verdunkelung während der Fliegerangriffe des Zweiten Weltkriegs stammen.
    Der Wirt des Zapfhahns heißt Hannes, und obwohl er erst Mitte dreißig ist, sieht er aus wie hundert. Seine Haut ist verschrumpelt wie eine alte Lederjacke, seine Finger leuchten dank der sechzig Filterlosen am Tag orangegelb, und sein Atem ist so kölschgesättigt, dass man nur tief einatmen muss, um betrunken zu werden.
    Wir setzen uns an die Theke. Hannes sieht uns aufmerksam an, setzt dann ein mitleidiges Lächeln auf und erklärt: »Dat krigge ma schon hin.«
    »Wat krigge ma schon hin?«, fragt Andy in gleicher Mundart zurück.
    »Na, dat ihr Vöjel eusch mal ein wenig entspannt. So wie meine übrijen Jäste.«
    Erst jetzt merken wir, dass außer uns noch andere Leute in der Kneipe sind. Es sind Männer, die mehr oder weniger am
Tresen festgewachsen sind und hier ein ähnliches Dasein fristen wie Korallen am Riff, nur dass diese hier sich nicht von Plankton, sondern von Kölsch ernähren.
    Dann demonstriert Hannes uns, welche Art von Entspannung ihm vorschwebt. Er stellt vor jeden von uns ein Bier und einen Korn - Herrengedeck . Das hat in Köln eine gewisse Eigenart, da man woanders in Deutschland den Korn kippt und das Bier dann genüsslich süffelt. Geht bei Kölsch nicht. Da muss man beides kippen, was die Geschwindigkeit, mit der man sein Großhirn ausschaltet, auf angenehme Art beschleunigt.
    »Wat jibbet denn zu feiern?«, fragt Hannes uns irgendwann zwischen dem fünfzehnten und dem zwanzigsten Gedeck.
    »Unser Freund hier ist vergangenes Wochenende aus dem Knast entlassen worden«, erklärt Andy und zeigt auf mich.
    Ich blicke ihn mit einem müden Lächeln an. »Schön gesagt.«
    »Wofür häste dann jesesse, Jong?«, fragt mich der Wirt.
    »Gar nicht. Mit Knast meint er meine Freundin, die mich verlassen hat.«
    Hannes strahlt über das ganze Gesicht. »Dat nenn isch jute Nachrichten. Wie lange häste dann hinter dir?«
    »Acht Jahre.«
    »Dafür siehste ave noch janz jut uss.«
    In diesem Augenblick rührt sich mein Sitznachbar am Tresen, was ungefähr so wirkt, als wenn sich im Wachsfigurenkabinett von Madame Tussauds auf einmal eine der Figuren bewegen würde. »Dat is doch jar nix. Ich musste dreißig Johr warte, bis minge Alte endlisch jejange is«, sagt er mit knarzender Stimme.

    Daraufhin erwacht eine weitere Wachsfigur zum Leben, die ein paar Hocker weiter sitzt und offenbar weiblichen Geschlechts ist. »Wat verzällst do dann doa, Heinz? Isch bin jejange? Dat stimmt doch ja nit. Isch bin doch hier.«
    Heinz’ Blick wird glasig. Er reibt sich die Augen, starrt seine Frau an, schüttelt langsam den Kopf und sagt: »Käthe? Bis do dat? Un isch dachte, do wärst fott.«

14. Tag: Freitag
    18:54 Uhr: Komme geschafft von der Arbeit nach Hause. Normalerweise würde ich jetzt laut Bin wieder da, Schatz rufen, würde dann wie ein Hochspringer Flur und Wohnzimmer durchqueren und mit einem eleganten Sprung über den Couchtisch auf dem Sofa landen. Und zwar in einer Position, die ich dann für die nächsten zwei Stunden nicht mehr aufgeben würde. In dieser Zeit würde ich Katja erzählen, was ich heute so erlebt habe, und sie würde mir von ihrem Tag erzählen.
    »Stell dir vor«, würde ich zum Beispiel sagen, »Michi Strunz erzählt mir doch glatt, dass er seit Jahren auf die Schwester seiner Frau scharf ist.«
    »Klingt nach Problemen.«
    »Er hat mir ein Foto von ihr gezeigt. Ich kann ihn verstehen.«
    »Toll. Und seine Frau?«
    »Es war ein Foto von seiner Frau, darum kann ich ihn ja verstehen.«
    Katja würde mich kopfschüttelnd ansehen und sagen: »Wo nehmt ihr Typen bloß euer Selbstbewusstsein her? Habt ihr vielleicht irgendeinen genetischen Defekt und könnt euch selbst nicht im Spiegel sehen?«

    Ich erinnere mich allerdings auch gut an den Tag, an dem etwas anders war als sonst. Das ist jetzt drei Monate her. Ich kam

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