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Herrentier

Herrentier

Titel: Herrentier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Joseph
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weiß nicht, ob du dir das antun solltest«, sagte Grieshaber. Zu spät. Gregor hatte schon in die sperrangelweit offenstehende Flügeltür des Schuppens geblickt. Vor einer Art Winde, die zur Slipanlage gehörte, kauerte jemand auf dem an sich besenreinen Betonfußboden. Seine Arme waren zur Seite gestreckt, der Oberkörper lag auf den Oberschenkeln. An der Vorderseite, die Gregor nicht sehen konnte, musste irgendetwas passiert sein, denn vor dem Kauernden und unter der Winde war eine riesige Blutlache.
    Gregor spürte, wie sich in ihm die eben erst abgeklungene Übelkeit wieder breitmachte. Um sich zu beruhigen, blickte er zum Wasser, wo eine offenbar schlecht vertäute Jolle mit jeder Welle gegen den Steg schlug.  Adele  stand in geschwungener Schrift am Bug. Davor stand ein Mann in einem weißen Schutzanzug, der einen Rotkohl aus dem flachen Wasser klaubte. Als er ihn in eine durchsichtige Plastiktüte legte, sah Gregor, dass der Kohl ein Gesicht hatte.
    »Zwei an einem Tag«, murmelte Gregor noch, drehte sich einmal um sich selbst und fiel.

Licht und Luft

    Das Licht entfaltete sich wie ein Sonnenaufgang im August. Es tat gut, lag sanft wie ein warmes Tuch über den geschlossenen Augen. Ihre Gedanken entführten sie an den Strand von Markgrafenheide, an dem sie vor Jahren mit Holger eine laue Sommernacht verbracht hatte, kurz vor seinem Umzug nach Leipzig. Sie tranken Rotwein, liebten sich in den Dünen, schwammen in der dunklen See, mummelten sich in Schlafsäcke und schauten in die Sterne.
    So empfand sie das auch jetzt. Schlaftrunken war sie, aber ihr Erwachen und ihre Müdigkeit fühlten sich angenehm an. Es war kein Wecker, der sie aus dem Schlaf riss, kein Harndrang, der sie zum Aufstehen zwang. Dieses luxuriöse Gefühl, unendlich viel Zeit zu haben, nichts Verpflichtendes oder Störendes um sich zu wissen, war paradiesisch. Ein Hauch frischer Luft wehte zu ihr herüber. Jemand hatte das Fenster angekippt, sodass sie Vogelgezwitscher vernahm. Sie hatte keine Ahnung, dass die Anästhesieschwester nur wenige Meter neben ihr saß und gerade im Protokoll vermerkte, dass die Patientin Evelyn Hammer um 15.50 Uhr aus der Narkose erwacht war.
    »… ich kann nicht aufs Boot, nein, nein, meine Sandalen …« Noch etwas benebelt registrierte Evelyn die lallende, phantasierende Stimme eines Fremden, die nun wieder verstummte. Sie neigte ihren Kopf zur Seite und besah ohne jede Gemütsregung die Gerätschaften, Betten und die darin Schlafenden. Eine offenbar ältere Dame lag ihr gegenüber. Daneben ein Kind, vermutlich ein Junge, dessen Gesicht teils von einem Beatmungsgerät verdeckt war. Der Herr zu ihrer Linken, der eben noch im Schlaf gesprochen hatte, gab nun ein lautes Schnarchen von sich. Neben den Flaschen und Schläuchen an seinem Bett bemerkte sie einen Beutel unterhalb seines dicken Bauches, in den etwas tropfte. Urin? Blut? Tequila Sunrise. All das beobachtete sie mit einer eigentümlichen Distanz, als säße sie in einem Zug und beobachte beim Anfahren aus dem Abteilfenster Passanten und Bahnsteig an ihr vorübergleiten.
    »Wie geht es Ihnen?« Eine angenehme Stimme holte Evelyn in die Wirklichkeit.
    »Ich weiß nicht. Gut, glaube ich.«
    Die Frau vor ihr, die etwas jünger sein mochte als sie, schaute sie freundlich, geradezu gütig an. »Sie befinden sich im Aufwachraum des Südstadtklinikums. Ihr Mann wartet draußen.«
    »Was ist passiert?«
    »Die Stationsärztin wird es Ihnen nachher erklären. Alles kommt in Ordnung. Jetzt ruhen Sie sich noch ein wenig aus. Wenn irgendetwas ist, sagen Sie Bescheid, ich sitze gleich hier drüben.«
    Evelyn nickte gleichgültig und mit halb geschlossenen Augen. Keine drei Sekunden später döste sie wieder ein.

    Krankenhausaufenthalte sind so entwürdigend, dachte Evelyn, als zwei blutjunge Krankenpfleger sie in einen Fahrstuhl schoben, um sie auf irgendeiner Etage gegen einen Lieferschein wie eine Pizza abzugeben. Auf dem Flur wurde sie von ihrem Mann und einer Krankenschwester in Empfang genommen. Statt ihr wie üblich einen Kuss zu geben, drückte Holger nur ihre Hand und schaute sie mit einem Gesichtsausdruck an, den er sonst bei Beerdigungen an den Tag legte.
    »So, Frau Hammer, dann wollen wir mal. Ich bin Schwester Katrin. Wie fühlen Sie sich?« Während Krankenschwester Katrin mit Evelyn sprach, als wäre diese ein kleines Mädchen, das in eine neue Klasse kommt, zeigte sie ihr den Schrank, den Klingelknopf für Notfälle, die Toilette und alles andere,

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