Herrgottswinkel
Tür der Kirche, deren Innenraum in der morgend lichen Sonne hell erstrahlte. Die Orgel setzte ein, alle be gannen zu singen und es wurde ein sehr schöner, feierlicher Gottesdienst.
Nach der Trauung gingen Anna und Daniel mit ihren Familien zu den Gräbern von Großeltern und Urgroßeltern. Dann bildeten die Wagen eine Kette und fuhren gemeinsam den Holperweg nach Bolsterlang. Viele der geladenen Gäste gingen zu Fuß, manche sprangen noch auf einen der vorbeikommenden Wagen auf, die schon restlos überfüllt waren. Als Anna mit Daniel am elterlichen Hof ankam, spielte bereits die Dorfmusik und das Bier floss und kurz darauf wurde Spanferkel serviert. Das verliebte Paar tanzte auf der Wiese hinter dem Hof und jeder überreichte sein kleines Geschenk. Viel hatte keiner, doch was sie schenkten, kam von Herzen. Am Nachmittag gab es Kuchen und Kaffee, doch die Männer blieben lieber beim Bier. Alle hatten ihre Freude an dem schönen Fest, nur Annas Schwiegermutter und die Schwägerin betrachteten alles argwöhnisch. Direkt nach der Kirche hatte die Schwiegermutter noch von der ergreifenden Predigt des Pfarrers geschwärmt. Jetzt bei Kaffee und Kuchen meinte sie abfällig: »Dafür, dass er schon so alt ist, hat der Herr Pfarrer die Predigt ganz ordentlich hinbekommen.« Anna überhörte den Kommentar. Den heutigen Tag wollte sie sich nicht verleiden lassen. Bald darauf wurde es auch schon Zeit, aufzubrechen. Die Kühe mussten in den Stall und gemolken werden. Anna verabschiedete zusammen mit Daniel alle Hochzeitsgäste, dann kam der schmerzliche Abschied von Eltern und Brüdern.
Schließlich saß Anna zusammen mit ihrem Mann sowie Schwager und Schwägerin hinten im Wagen und der Hof ihrer Eltern verschwand immer weiter in der Ferne. Vorne auf dem Kutschbock hockte der Schwiegervater mit seiner Frau, die finster schaute und immer wieder die Geißel über den beiden Pferden schnalzte. Die anderen beiden Wagen aus Tiefenbach folgten dem Zweispänner. Daniel hatte zu viel Bier getrunken, so wie die meisten der männlichen Hochzeitsgäste, und war über dem Geschaukel eingeschlafen. Es begann dunkel zu werden und die Schwiegermutter schimpfte, warum man nicht schon eine Stunde früher aufgebrochen sei. Sowieso sei es ein Schmarren gewesen, die Hochzeit dort zu feiern, wo die Braut zu Hause war – immer diese neumodischen Einfälle der jungen Leute. Anna drückte ihren Kopf eng an Daniels Oberarm und schloss die Augen. Sie wollte gar nicht hören, was das verbitterte und unzufriedene Weib da sagte. Sie war glücklich über das gelungene Fest und freute sich schon auf den kommenden Frühling, wenn sie zu dritt sein würden. Das war sicher, so sicher wie das Amen in der Kirche, glaubte sie. In Tiefenberg verabschiedeten sie ihre Freunde und Verwandten.
Nun ging es noch die steile Anhöhe auf die Breite hoch. Als die Pferde mit einem Ruck vor dem Gundler’schen Hof zu stehen kamen, wachte Daniel auf und kletterte geschwind vom Wagen. Er breitete die Arme aus und Anna flog ihm mit einem mächtigen Satz entgegen, sodass beide auf dem Boden landeten und übermütig lachten. Die Mutter begann schon wieder zu keifen: »Die Flausen werde ich ihr schon noch austreiben.«
Da wurde es Daniel zu viel. »Meiner Anna treibt niemand irgendetwas aus«, herrschte er seine Mutter an, dann küsste er seine Frau leidenschaftlich auf den Mund. »Heute Nacht werden wir nicht im Haus schlafen«, flüsterte er Anna zu und ging mit ihr eine Anhöhe hinauf, die der Breite gegenüberlag. Oben angekommen standen sie vor einem Heustadel. Daniel öffnete die Luke und hob Anna hinein. Er zündete eine Petroleumlampe an und Anna konnte in ihrem schwachen Schein zwei Wolldecken und Kissen erkennen. Daniel breitete eine der Decken aus und ließ sich darauf fallen. Anna legte sich neben ihn und bald küssten sie sich leidenschaftlich. Als Daniel ihr zärtlich unter den Rock fassen wollte, bestand sie darauf, zuerst das Licht auszumachen. Daniel löschte geschwind die Lampe, dann lag er wieder neben ihr und sie spürte seine Hände überall auf ihrem Körper. Inzwischen kannten beide die Vorlieben des anderen so gut, dass es nicht mehr ein alleinstehender Berg war, dessen Gipfel sie zusammen erreichten, sondern eher ein Gebirge, auf dem sie von Gipfel zu Gipfel reisten.
Am nächsten Morgen wachte Anna auf, als sie ein Grashalm an der Nase kitzelte. Sonnenstrahlen fielen durch die einzelnen Holzspalten des Stadels und so konnte Anna ihren schlafenden
Weitere Kostenlose Bücher