Herrgottswinkel
Plätzchen wurden gebacken und Anna war endlich fertig mit der warmen dunkelbraunen Jacke, die sie Daniel zu Weihnachten gestrickt hatte. Morgen war Heiligabend und sie wollten alle gemeinsam in die Christmette nach Tiefenbach. Annas Bauch war schon leicht gewölbt und Daniel liebte es am Abend im Bett, seine Hand auf Annas Bauch zu legen und das Kind strampeln zu spüren.
»Ich wünsche mir ein Mädchen«, sagte er. »Ein Mädchen, wie du es bist, mit dunklen Augen und langen Zöpfen.«
»Du spinnst«, neckte ihn Anna. »Jeder Bauer wünscht sich zuerst einen Sohn, einen Stammhalter! Ich wünsche mir einen Buben mit deinen blauen Augen und deinen dunklen, lockigen Haaren.«
An Heiligabend legte Anna den braunen Kittel auf Daniels Bett. Als sie unten in der Stube zusammen Stille Nacht gesungen und sich frohe Weihnachten gewünscht hatten, war Anna etwas beschämt, denn sie hatte kein Geschenk für Daniels Familie. Sie bekam von der alten Gundlerin einen Kinderpullover und von Burgel ein passendes Mützchen dazu mit warmen Handschuhen und Schal. »Wenn das nur kein Unglück bringt«, meinte der alte Gundler. »Man soll doch dem noch ungeborenen Kind nichts schenken!«
»Wir schenken es doch nicht dem Kind, sondern der zukünftigen Mutter«, widersprach Burgel ihrem Vater schnell. Heute wollte sie keine schlechte Stimmung in der Stube haben. Dann zogen sie sich alle warm an und fuhren mit Daniel und dem großen Hörnerschlitten nach Tiefenbach, um mit den anderen Dorfbewohnern das Weihnachtsfest zu feiern. Es war eine sternenklare Nacht und der Schnee staubte nur so. Obwohl es sehr kalt war, machte die Schlittenpartie allen riesigen Spaß. Nach dem Gottesdienst schoben sie gemeinsam den Schlitten wieder die Anhöhe hinauf. An Frieren war gar nicht zu denken.
Als Daniel mit Anna ins Schlafzimmer ging, sah sie im Kerzenschein auf ihrem Bett etwas Kleines, Rundes funkeln. Es war eine Silberkette mit einem Anhänger aus Granen, die in Eichenblätter gefasst waren, dazu passend zwei Ohr stecker. Anna glaubte ihren Augen nicht zu trauen. So etwas Schönes hatte sie noch nie gesehen. Daniel legte ihr die Kette um den Hals. Dann schmiegte er sich zärtlich von hinten an seine Anna und küsste sie sanft an der Stelle, wo die Schulter in den Nacken überging. Da bemerkte er Tränen in den Augen seiner Frau.
»Bist du enttäuscht?«, fragte Daniel unsicher.
»Enttäuscht?«, gab ihm Anna glücklich zur Antwort. »Es ist wundervoll! Nie habe ich etwas Vergleichbares bekommen!« Insgeheim war sie jedoch etwas besorgt über seinen Liebesbeweis, der sicher teuer hatte erkauft werden müssen.
»Ich wollte dir das Geschenk schon zur Hochzeit geben, doch der Goldschmied hatte so viel zu tun und wurde erst vor Kurzem fertig damit.« Erst jetzt bemerkte Daniel die Strick jacke auf seinem Bett. Gleich schlüpfte er hinein und sie passte ihm wie angegossen. Er fragte, wann sie denn die Zeit gehabt hätte, ihm so etwas Schönes zu stricken, doch Anna schwieg und lächelte ihren Daniel nur liebevoll an. Dann lagen sie eng umschlungen im warmen Bett und schliefen auf der Stelle tief und fest. Von diesem Weihnachtstag an trug Anna den Anhänger auf ihrem Herzen, sie hatte Daniel versprochen, ihn nie wieder abzunehmen. Am Dreikönigstag wachte sie gegen drei Uhr nachts auf, als Daniel auf das Häuschen musste, wie er ihr leise ins Ohr flüsterte. Sie musste sogleich wieder in einen tiefen Schlaf gefallen sein, denn sie wurde erst wieder wach, als ihre Schwägerin sie ganz außer der Reihe weckte.
»Wo ist der Daniel«, fragte Burgel aufgeregt und Anna sah, dass der Platz neben ihr verlassen war. Sofort war sie hellwach. Wo war Daniel? Schnell zog sie sich an und lief die Treppe hinunter zum Haus hinaus. Es musste die ganze Nacht geschneit haben. Der Himmel war wolkenverhangen, alles war unter einer dicken Schneedecke begraben. Anna rannte, so schnell das im Schnee möglich war, zu Henne nach Tiefenbach hinunter, der würde sicher wissen, was zu tun sei. Burgel folgte ihr. Auch ihr Schwager Seppi zog sich in aller Eile an und machte sich allein auf die Suche. Doch in dem tiefen Pulverschnee war keine Spur zu erkennen. Henne trommelte einige junge Burschen aus dem Dorf zusammen und nun machte sich ein ganzer Suchtrupp auf den Weg.
»Wir suchen die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen. Vielleicht sollte ich in unserem Fall eher von der Gänsefeder im Schnee sprechen«, meinte Henne, als er sich von Anna verabschiedete. Anna weinte und
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