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Herrin der Dunkelheit

Herrin der Dunkelheit

Titel: Herrin der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz Leiber
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hetzen.
    Doch die meisten meiner Informationen über diese Periode sind sehr dünn und einseitig. Die Menschen, die ihn am besten gekannt hatten, versuchten alles, um ihn zu vergessen (ihn zu unterdrücken, kann man sagen), und meine beiden Hauptinformanten, Klaas und Ricker, haben ihn erst in den zwanziger Jahren als alten Mann kennen gelernt und nur seine Version (oder Versionen!) der Geschichte gehört. Ricker, ein völlig unpolitischer Mann, hielt de Castries für einen großen Gelehrten und Metaphysiker, dem eine Gruppe reicher, leichtlebiger Menschen Geld und Unterstützung versprochen und ihn dann enttäuscht und im Stich gelassen hatte. An die Revolutionspläne hat er niemals ernsthaft geglaubt. Aber Klaas glaubte an ihre Existenz und sah de Castries als einen großen, gescheiterten Rebellen, einen modernen John Brown oder Sam Adams oder Marat, der von seinen reichen, pseudokünstlerischen, sensationsgeilen Anhängern fallengelassen wurde, als sie kalte Füße bekamen. Beide wiesen die Erpresser-Gerüchte empört zurück.«
    »Und was war mit seiner geheimnisvollen Lady?« unterbrach Franz. »Gab es die noch? Was haben Klaas und Ricker über sie gesagt?«
    Byers schüttelte den Kopf. »Sie war Anfang der zwanziger Jahre spurlos verschwunden – falls sie überhaupt wirklich existiert haben sollte. Für Ricker und Klaas war sie lediglich eine Story wie alle anderen – eine der endlos faszinierenden Geschichten, die sie im Lauf der Zeit aus dem alten Mann herausholten. Oder (bei den weniger faszinierenden) in mehrfacher Wiederholung über sich ergehen ließen. Nach ihren Informationen gab es während der Zeit, als sie ihn kannten, überhaupt keine Frau in seiner Nähe. Klaas rutschte aber einmal ungewollt die Bemerkung heraus, dass de Castries sich habe ab und zu eine Prostituierte kommen lassen – weigerte sich jedoch mir Einzelheiten zu berichten, so sehr ich ihn auch dazu drängte, und erklärte mir, dass dies Thibauts eigene, ganz private Angelegenheit sei. Ricker erklärte mir jedoch, dass der alte Knabe ein sentimentales Interesse an – oder eine Schwäche für – kleine Mädchen gehabt habe – natürlich in aller Unschuld, ein moderner Lewis Caroll, betonte er. Sowohl Ricker wie Klaas wiesen jede Andeutung über ein abartiges Sexualleben des alten Mannes so entschieden und indigniert zurück wie die Erpresser-Stories und die später aufkommenden, noch hässlicheren Gerüchte: dass de Castries seine letzten Lebensjahre dazu verwandt hätte, sich an den ›Verrätern‹ zu rächen, indem er sie durch Schwarze Magie zu Tode brachte oder zum Selbstmord trieb.«
    »Ich habe von einigen dieser Fälle gehört«, sagte Franz, »zumindest von denen, die Sie, wie ich vermute, gleich anführen werden. Was ist mit Nora May French geschehen?«
    »Sie war die erste, die starb. 1907, nur ein Jahr nach dem Erdbeben. Ein klarer Fall von Selbstmord. Sie ist sehr elend an Gift gestorben – äußerst tragisch.«
    »Und wann ist Sterling gestorben?«
    »Am siebzehnten November 1926.«
    Franz sagte nachdenklich: »Es scheint wirklich ein selbstmörderischer Zwang am Werk gewesen zu sein, obwohl sich die Todesfälle über einen Zeitraum von zwanzig Jahren erstreckten. Man könnte sich sogar vorstellen, dass es der Todeswunsch war, der Bierce dazu trieb, zu diesem Zeitpunkt nach Mexiko zu gehen – ein von Krieg gezeichnetes Leben, also warum kein gewaltsamer Tod? – wo er sich wahrscheinlich als eine Art inoffizieller Revolutions-Korrespondent den Rebellen Pancho Villas anschloss und genauso wahrscheinlich erschossen wurde, weil er ein hochnäsiger, starrköpfiger alter Gringo war, der nicht mal für den Teufel selbst den Mund gehalten hätte.
    Und von Sterling war bekannt, dass er schon viele Jahre lang eine Ampulle mit Zyankali in seiner Westentasche trug; ob er das Gift schließlich aus Versehen nahm (ziemlich weit hergeholt) oder vorsätzlich, ist natürlich nicht mit Sicherheit festzustellen. Und dann gab es eine Zeit (Rogers Tochter berichtet darüber in ihrem Buch), als Jack London für fünf Tage spurlos verschwand und in seine Wohnung zurückkehrte, als sich dort Charmian und Rogers Tochter und noch einige andere Menschen, die sich um ihn Sorgen machten, versammelt hatten, und er mit der eiskalten Logik eines Mannes, der sich wieder nüchtern getrunken hat, George Sterling und Rogers aufforderte, nicht für ihn Totenwache zu sitzen.
    Was hat er damit gemeint?« fragte Byers und kniff ein Auge zu, als er sich

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