Herrin der Dunkelheit
betrunken.‹ – Hallo, was ist dies?«
Seine Fingernägel zupften behutsam am Rand eines Blattes. »Sie sind kein Bibliophile, lieber Franz. Ich hätte damals, als wir uns trafen, Ihnen dieses Buch stehlen sollen, so wie ich es zu einem gewissen Zeitpunkt ernsthaft vorgehabt hatte; aber irgend etwas Rührendes in Ihrer Trunkenheit hat mein Gewissen angerührt, das niemals ein guter Führer ist – So!«
Mit einem leisen, fast unhörbaren Rascheln löste sich das Blatt von einem anderen und enthüllte eine beschriebene Seite, die zwischen den zusammenklebenden Blättern versteckt gewesen war.
»Die Schrift ist schwarz und wie neu«, berichtete Byers. »Indische Tinte, würde ich sagen – und mit sehr leichter Hand aufgetragen, um auch nicht die geringsten Eindrucksspuren auf der anderen Seite des Blattes zu verursachen. Dann eine winzige Spur Gummi arabicum auf dem Rand, zu gering, um das Papier zu verwerfen, und Presto! – die Eintragungen sind unauffällig und sehr effektiv versteckt. Die Raffinesse des Offensichtlichen. ›Auf ihren Kleidern ist eine Schrift, die kein Mensch erblicken darf …‹ Oh, mein Gott! Nein!«
Er wandte mit einer raschen, resoluten Bewegung den Blick von der Tagebuchseite, die er während des Sprechens überflogen hatte. Dann stand er auf, hielt das Journal auf Armeslänge von sich, hockte sich so nahe neben Franz, dass der seinen Brandy-Atem roch, und hielt das Tagebuch so, dass sie beide die neuentdeckten Seiten vor Augen hatten. Nur die rechte war beschrieben, mit schwarzen und spinnenfadendünnen Buchstaben, die sehr sauber geschrieben waren und mit Smiths Handschrift auch nicht die entfernteste Ähnlichkeit aufwiesen.
»Danke«, sagte Franz. »Dies ist unheimlich. Ich habe alle Seiten mehr als ein Dutzend Mal durchgeblättert.«
»Aber Sie haben nicht jede einzelne mit dem tiefen Misstrauen eines Bibliophilen genau und gründlich geprüft. Die Initialen am Schluss der Eintragung deuten darauf hin, dass sie von dem alten Tiberius selbst geschrieben wurde. Und ich teile diese Entdeckung mit Ihnen nicht so sehr aus Gründen der Höflichkeit, wie aus Angst. Als ich einen Blick auf die ersten Zeilen geworfen hatte, überkam mich das Gefühl, dass dies etwas ist, das ich nicht allein lesen möchte. Zusammen mit Ihnen fühle ich mich sicherer – zumindest wird die Gefahr etwas verteilt.«
Gemeinsam lasen sie folgendes:
EIN FLUCH auf Master Clark Ashton Smith und all seine Erben, der sich einbildete, mein Gehirn anzapfen und sich dann davonmachen zu können, dieser falsche Agent meiner Feinde. Auf ihn komme der Lange Tod – die Paramentale Agonie! –, wenn er zurückgekrochen kommt, wie es alle Menschen tun. Der Drehpunkt (o) und die Cipher (A) werden dort sein, an seinem geliebten 607 Rhodes. Ich werde an dem mir zugewiesenen Ort (1) ruhen, unter dem Bischofssitz, die schwerste Asche, die er jemals fühlte. Dann, wenn die Lasten auch auf Sutro Mountain (4) und Monkey Clay (5) sind, [(4) + (1) = (5)] wird sein Leben zermalmt werden. Bin an Cipher in meinem 50-Buch (A) gebunden. Ziehe hinaus in die Welt, mein kleines Buch (B), und liege auf der Lauer in Läden und auf Regalen, ein Köder für den arglosen Käufer. Ziehe hinaus, mein kleines Buch, und breche einigen Leuten das Genick!
TdC
Als Franz zu Ende gelesen hatte, wirbelten in seinem Gehirn so viele Namen von Orten und Dingen herum, die sowohl bekannt als auch fremd waren, dass er sich dazu zwingen musste, die Fenster und Türen und dunklen Ecken von Byers elegantem Wohnzimmer visuell zu überprüfen. Diese Formulierung ›Wenn die Lasten … ruhen‹ – er konnte sich nicht vorstellen, was damit gemeint sein konnte, doch im Zusammenhang mit ›der schwersten Asche‹ ließ sie ihn an einen alten Mann denken, der von schweren Steinen, die auf seiner Brust lagen, zu Tode gequetscht wurde, weil er beim Hexenprozess in Salem, im Jahr 1692, die Aussage verweigert hatte, als ob ein Geständnis buchstäblich aus ihm herausgepresst werden könnte, wie der letzte Atemzug.
»Monkey Clay«, murmelte Byers verwundert. »Affe aus Lehm? Der arme, leidende Mensch, aus Staub geformt?«
Franz schüttelte den Kopf. Und im Mittelpunkt von allem, dachte er, dieses verdammt rätselhafte 607 Rhodes, das immer wieder und überall auftauchte und auf gewisse Weise diese ganze Sache ins Rollen gebracht hatte.
Wenn er nur daran dachte, dass er das Buch jahrelang in seinem Besitz gehabt hatte, ohne sein Geheimnis zu entdecken! Das
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