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Herrin der Dunkelheit

Herrin der Dunkelheit

Titel: Herrin der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz Leiber
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fühlte sich versucht (und erlag dieser Versuchung schließlich rückhaltlos), seinen umwerfenden Charme ein letztes Mal einzusetzen, seine faszinierenden Geschichten zu erzählen und seine bezwingend unheimlichen Theorien zu erklären, um seinen Besucher in seinen Bann zu zwingen.
    Und Clark Ashton, ein Liebhaber des Unheimlichen, hochintelligent, doch in gewisser Weise noch immer ein naiver Junge aus der Kleinstadt, emotionell turbulent, war ein überaus dankbarer Zuhörer. Clark schob seine Rückkehr nach Auburn mehrere Wochen lang immer wieder hinaus; er genoss die beklemmende, unheilschwangere, Wunderreiche, seltsam reale Welt, die der alte Tiberius, der Vogelscheuchen-Kaiser des Terrors und des Geheimnisvollen jeder Tag frisch für ihn malte – ein San Francisco aus strahlenden mentalen und unsichtbaren paramentalen Wesen, das wirklicher war als die Wirklichkeit. Es ist nur zu verständlich, dass die Tiberius-Metapher Clark faszinierte. An einer Stelle eines Tagebuchs schrieb er – warten Sie einen Moment, Franz, bis ich die Stelle auf den Fotokopien gefunden habe …«
    »Nicht nötig«, sagte Franz und zog das Journal selbst aus der Jackentasche. Dabei riss er auch das Fernglas heraus, und es fiel mit einem leisen Klirren von zerbrochenem Glas auf den dicken Teppich.
    Byers blickte es mit morbider Neugier an. »Das also ist das Glas, das mehrere Male – seien Sie vorsichtig, Franz! – ein paramentales Wesen sah und schließlich von ihm zerstört wurde.« Sein Blick glitt zu dem Journal. »Franz, Sie schlauer Fuchs! Sie haben sich auf dieses Gespräch – zumindest auf einen Teil davon – vorbereitet, bevor Sie zum Gipfel der Corona Heights hinaufgestiegen sind!«
    Franz hob sein Fernglas auf und legte es auf den kleinen Tisch neben den überquellenden Aschenbecher; dabei warf er einen raschen Blick durch den Raum und auf die Fenster. »Es scheint, Donaldus«, sagte er dann ruhig, »als ob auch Sie einiges zurückgehalten hätten. Sie sind jetzt ziemlich sicher, dass dieses Tagebuch von Smith aufgeschrieben wurde, aber bei unseren früheren Treffen, und selbst in den Briefen, die Sie mir später schrieben, haben Sie immer wieder betont, dass Sie nicht sicher seien.«
    »Touché«, gab Byers mit einem seltsamen, kleinen Lächeln zu, vielleicht beschämt. »Aber es schien mir damals richtig und weise zu sein, Franz, so wenig Menschen wie möglich darüber aufzuklären Jetzt wissen Sie natürlich genauso viel wie ich, oder werden es in wenigen Minuten wissen, aber … das billigste aller Clichés lautet: ›Es gibt Dinge, die der Mensch nicht wissen soll‹, doch es gibt Zeiten, in denen ich glaube, dass es für Thibaut de Castries und das Übernatürliche wirklich zutrifft. Darf ich das Journal sehen?«
    Franz warf es ihm zu. Byers fing es auf, als ob es ein rohes Ei wäre, und warf seinem Gast einen schmerzvollen Blick zu, während er es öffnete und behutsam ein paar Seiten umblätterte. »Ja, hier ist es. ›Heute drei Stunden in 607 Rhodes. Was für ein Genie! Wie prosaick – wie Howard es buchstabieren würde. Und doch ist es Tiberius, der mit geiziger Zurückhaltung seine dunklen Thrasyllus-Geheimnisse in diesem bergigen, höhlenzerfressenen Capri, das San Francisco genannt wird, an seinen verängstigten, jungen Erben (Um Gottes willen! Nicht ich!) Caligula portioniert. Und ich frage mich, wie bald auch ich dem Wahnsinn verfallen werde.‹«
    Als er mit dem Vorlesen der Seite fertig war, blätterte er sie um, und dann die nächste, und die übernächste, und er blätterte sogar weiter, als er zu den unbeschriebenen Seiten kam. Hin und wieder blickte er Franz an, doch er examinierte jede einzelne Seite sorgfältig mit Augen und Fingerspitzen, bevor er sie umblätterte.
    »Clark dachte an San Francisco als ein modernes Rom«, sagte er im Konversationston. »Sie verstehen: beide Städte wurden auf sieben Hügeln erbaut. Und auf einen Einwohner von Auburn wirkte das Leben von George Sterling und seiner Freunde sicherlich wie ein römisches Bacchanal. Wobei Carmel vielleicht das Analogon zu Capri bildete, das Tiberius’ Klein-Rom war, und wo Spaß und Spiele für Fortgeschrittene stattfanden. Fischer brachten frisch gefangene Hummer für den kauzigen, alten Imperator; Sterling tauchte nach riesigen Muscheln. Natürlich war Rhodes das Capri von Tiberius’ frühen mittleren Jahren. Ja, ich kann verstehen, warum Clark nicht Caligula sein wollte. ›Die Kunst ist, genau wie der Barmann, niemals

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