Herrin der Falken
Stiefmutter sagen? Ich versichere dir, nicht viele Frauen sind zu ihren erwachsenen Stieftöchtern so gut wie Lady Luciella zu dir und Mallina. Sie gibt euch schöne Kleider, obwohl ihr beide hübscher seid als sie, und dabei weiß sie, daß Darren einmal hier Herr sein wird und ihr Kind nur ein jüngerer Sohn ist, nicht viel besser als ein Nedestro! Höre, deine eigene Mutter hätte dir das Hosentragen schon vor drei Jahren verboten. Nie hätte sie dich in dieser ganzen Zeit als Mannweib herumlaufen lassen! Wie kannst du sagen, Lady Luciella hasse dich?«
Mit brennenden Augen sah Romilly zu Boden. Es war die Wahrheit. Niemand hätte liebevoller zu ihr sein können als Luciella. Es wäre leichter gewesen, wenn Luciella ihr jemals die geringste Unfreundlichkeit gezeigt hätte. Ich könnte mich gegen sie wehren, wenn sie grausam zu mir wäre. Was kann ich jetzt tun?
Und Preciosa wartete auf sie. Dachte Gwennis wirklich, sie würde ihren eigenen Falken dem Jungen des Falkenmeisters überlassen? Nicht einmal Darren würde sie ihn geben! Mit vor Wut zitternden Händen zog sie das verabscheute Kleid an, einen fadenkahlen blauen Gabardin. Obwohl von Gwennis verändert, war es zu eng in der Taille, so daß die Verschnürung weit über ihrem Unterhemd klaffte. Immer noch besser, ich reite in Röcken, als überhaupt nicht, sagte Romilly zu sich selbst. Aber wenn sie glaubten, sie so leicht schlagen zu können, hatten sie sich geirrt!
Wird sie mich in diesem blöden Mädchenkleid überhaupt erkennen?
Wütend ging sie auf die Ställe und das Falkenhaus zu. Ein-oder zweimal stolperte sie über die lästigen Röcke und nahm daraufhin einen langsameren, damenhaften Gang an. Also Luciella wollte sie mit einem hübschen Kleid bestechen, um den Schlag zu mildern? Typisch Frau, sie mit einem albernen Trick hereinlegen zu wollen, statt ihr geradeaus zu sagen, sie dürfe nicht mehr in Hosen reiten!
Im Falkenhaus ging Romilly sofort zu dem Block, zog ihren alten Handschuh an und nahm Preciosa auf den Arm. Mit der freien Hand ergriff sie die zu diesem Zweck bereitliegende Spinnfeder und streichelte die Brust des Falken. Eine Berührung mit der Hand würde die Schutzschicht von den Federn streifen und sie beschädigen. Preciosa spürte Romillys Erregung und bewegte sich unruhig auf ihrem Handgelenk. Das Mädchen zwang sich zur Ruhe. Sie nahm das an der Wand hängende Federspiel und winkte dem Jungen Ker.
»Hast du frisches Fleisch für Preciosa?«
»Ja, Damisela. Von einer eben für den Tisch getöteten Taube habe ich alle Innereien aufgehoben. Vor zehn Minuten waren sie noch im Bauch des Vogels«, antwortete Ker. Romilly schnupperte mißtrauisch an dem Fleisch. Dann band sie es an das Federspiel. Preciosa roch die Atzung, zuckte nervös und flatterte. Romilly sprach beruhigend auf sie ein. Beim Weitergehen mußte sie sich den Rock aus dem Weg treten. Im Stallhof löste sie die Fesseln und schwang das Federspiel hoch über ihren Kopf. Der Schwung, mit dem Preciosa sich in die Luft warf, stieß Romillys Hand nach unten. Das Falkenweibchen kreiste hoch am Himmel über dem Stallhof, stieß schnell auf das Federspiel nieder und schlug die Beute, fast noch bevor sie den Boden berührte. Romilly ließ sie eine Weile in Ruhe kröpfen. Dann rief sie sie mit der kleinen Falknerpfeife, die der Vogel mit seiner Nahrung in Verbindung bringen soll, und streifte ihr die Haube wieder über. Sie gab Ker das Federspiel und sagte: »Wirf du es, ich möchte sie fliegen sehen.“
Gehorsam nahm der Junge des Falkenmeisters das Federspiel und begann, es über seinem Kopf zu schwingen. Wieder ließ Romilly den Falken auf. Sie beobachtete, wie er hochflog und zum Klang ihrer Pfeife auf das Federspiel niederstürzte. Noch zweimal wurde die Übung wiederholt, bevor Romilly den Falken verkappte und zurück auf den Block setzte. Wieder und wieder streichelte sie ihn zärtlich mit der Spinnfeder, murmelte ihm sinnlose Worte der Liebe zu, spürte die Nähe und Zufriedenheit des satten Falken. Preciosa lernte schnell. Bald würde sie frei fliegen, ihre eigene Beute schlagen und auf Romillys Handgelenk zurückkehren…
»Geh und sattle Windracer«, sagte sie und setzte mißmutig hinzu: »Ich vermute, du mußt meinen Damensattel nehmen.“
Der Junge vermied es, sie anzusehen.
»Es tut mir leid, Damisela – der MacAran hat strengen Befehl gegeben. Er war sehr zornig.«
Das also war ihre Strafe. Spitzfindiger als Schläge und gar nicht die Art ihres Vaters
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