Herrin der Falken
– die von Luciellas Hand gesetzten feinen Stiche waren deutlich zu erkennen. Im Geist hörte sie fast die Worte, die ihre Stiefmutter benutzt haben mußte: Hör zu, ein großes Mädchen wie Romilly, und du läßt sie in den Ställen herumlaufen… Wie kann es dich da überraschen, wenn sie etwas anstellt? Überlasse sie mir, und ich werde eine Dame aus ihr machen.
Romilly wollte dem Jungen in ihrem Ärger schon sagen: Vergiß es, ein Damensattel ist eine Beleidigung für jedes Pferd mit Selbstachtung… Aber Preciosa flatterte aufgeregt auf ihrem Arm, und sie erkannte, daß ihre Wut sich auf den Vogel übertrug. So beherrschte sie sich und meinte ruhig: »Gut, dann leg ihm einen Damensattel auf.« Trotz ihres Zorns, trotz des Damensattels mußte Preciosa an die Bewegung des Pferdes gewöhnt werden. Und ein Ritt auf einem Damensattel war besser als überhaupt kein Ritt.
Unterwegs dachte Romilly lange und gründlich nach. Ein Appell an ihren Vater war sinnlos. Offenbar hatte er die Veranwortung auf Luciella übertragen. Das neue Reitkleid war nur ein Zeichen dafür gewesen, woher der Wind jetzt blies. Zweifellos würde der Tag kommen, an dem man ihr das Reiten ganz verbot – nein, das nicht. Luciella hatte ihr von seinen Plänen erzählt, ihr ein gutes Pferd zu schenken. Immerhin würde sie wie eine Dame reiten müssen, sittsam, weil kein Pferd unter einem Damensattel etwas Besseres als einen gemächlichen Trott fertigbrachte. Sie mußte hinderliche Röcke tragen und war nicht einmal mehr imstande, ihren Falken richtig zu schulen. Ein Damensattel bot nicht genug Platz für einen Falken, während sie auf einem Herrensattel den Block vor sich tragen konnte. Und dann würde man ihr den Zutritt zu den Ställen und Falkenhaus verwehren, und ihr bliebe nichts als solche läppischen Ausritte. Doch was konnte sie dagegen tun? Sie war noch nicht mündig – erst zu Mittsommer wurde sie fünfzehn –, und es blieb ihr nichts übrig, als den Befehlen ihres Vaters und
ihrer Stiefmutter zu gehorchen. Romilly hatte das Gefühl, als
schlössen sich Mauern um sie.
Wozu war ihr dann dieses Laran gegeben worden, wenn an scheinend nur ein Mann die Freiheit hatte, es zu benutzen? Sie hätte weinen mögen. Warum war sie nicht als Mann geboren worden? Sie wußte, wenn sie Luciella die Frage stellte, was sie mit ihrer Gabe anfangen solle, würde die Antwort lauten: Du hast diese Gabe, um sie an deine Söhne zu vererben. War sie also nichts als ein Mittel, um einem unbekannten Gatten Söhne zu verschaffen? Oft hatte sie gedacht, daß sie gern Kinder haben würde. Sie erinnerte sich an Rael als Baby, klein und süß und weich und liebenswert wie ein noch nicht entwöhntes Hündchen. Aber mußte sie dafür alles aufgeben, im Haus bleiben und wabbelig wie Luciella werden? Hatte ihr eigenes Leben dann ein Ende, lebte sie dann nur noch durch ihre Kinder? Es war ein zu hoher Preis auch für das anbetungswürdigste Baby. Wütend blinzelte Romilly ihre Tränen weg und zwang sich zur Ruhe. Denn sie wußte, die Emotion würde auf Falken und Pferd übergreifen.
Sie mußte warten. Vielleicht konnte sie ihren Vater zur Einsicht bringen, wenn sein Zorn sich abgekühlt hatte. Und dann schoß es ihr durch den Kopf: Noch vor Mittsommer kam Darren nach Hause, und vielleicht würde er, als der einzige ihrem Vater gebliebene Erbe, bei ihm für sie eintreten. Sie streichelte den Falken mit der Spinnfeder, um ihn zu beruhigen, und ritt nach Falkenhof zurück. Ein Schimmer der Hoffnung lebte in ihrem Herzen.
3.
Zehn Tage vor Mittsommer, an Romillys fünfzehntem Geburtstag, kam ihr Bruder Darren nach Hause. Rael sah die Reiter als erster. Die Familie saß gerade beim Frühstück. Das Wetter war so gut, daß Luciella angeordnet hatte, den Tisch auf dem offenen Balkon zu decken, von dem man Aussicht auf das Kadarin-Tal hatte. Rael nahm sein zweites Honigbrot mit an das Geländer, obwohl Luciella ihn sanft ermahnte, er solle sich ordentlich hinsetzen und fertig essen. Jetzt lehnte er sich über die Querleiste und warf Brotkrumen auf die breiten Blätter des Efeus, der auf beiden Seiten der Burg bis zu dem hohen Balkon hinaufkroch.
»Sieh mal, Mutter«, rief er, »da kommen Reiter den Pfad hoch – ob sie hierher wollen, was meinst du? Vater, siehst du sie?«
Der MacAran hob seine Tasse an die Lippen und antwortete stirnrunzelnd: »Still, Rael, ich rede mit deiner Mutter!« Aber Romilly wußte sofort, wer die Reiter waren. »Das ist Darren!«
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