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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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auf!«, entfuhr es Faun.
    Tiessa blickte gebannt auf die Versammlung der Silhouetten im schwachen Gegenlicht der Bordlaternen. Es fiel schwer, die Männer zu zählen, weil sich die dunklen Umrisse überschnitten und gegenseitig verdeckten. Mindestens ein halbes Dutzend waren es, eher noch acht oder zehn.
    Der Todgeweihte wurde mit dem Rücken am Hauptmast hochgezogen, noch immer um sich tretend, die Arme spitz angewinkelt, während er verzweifelt versuchte, die Finger unter das Seil um seinen Hals zu schieben.
    Eine Tür des Achterdecks schepperte, dann stürmte Achard mit stampfenden Schritten und wehendem Haar auf die Versammlung am Fuß des Hauptmastes zu. Zornig brüllte er die Männer an, den Erhängten sofort wieder zu Boden zu lassen Offenbar handelte es sich um einen seiner Leute. Es kam zu Rangeleien, schließlich zu einem handfesten Schlagabtausch zwischen Achard und zwei anderen Gestalten. Erst als einer der Afrikaner auftauchte, zogen sie sich zurück. Der Mann musste keine Befehle brüllen, Faun und Tiessa verstanden nicht einmal ob er überhaupt etwas sagte. Aber die Männer respektierten ihn. Für den Mann am Mast war es zu spät. Als er endlich herabgelassen wurde, hatte er längst aufgehört zu strampeln. Mit einem hohlen Laut fiel sein Leichnam auf die Planken.
    Der Streit zwischen den Männern brandete erneut auf, ein wildes Durcheinander aus Deutsch, Latein und exotischeren Sprachen. Plötzlich zog der große Afrikaner sein Schwert. Die Klinge wirbelte in einem funkelnden Halbkreis herum und trennte einem Mann in einer blitzschnellen Bewegung den Schädel von den Schultern. Faun vermutete, dass es sich um einen von jenen handelte, die sich mit Achard geschlagen hatten. Alle übrigen Männer erstarrten. Achard regte sich als Erster, verneigte sich eine Spur zu steif vor dem Afrikaner und ging dann gemessenen Schritts zurück zum Achterdeck. Der Afrikaner brüllte den Männern Befehle zu, und wenig später wurden die beiden Leichen unter Deck getragen, zweifellos um sie später auf offener See über Bord zu werfen. Der Afrikaner folgte Achard und schlug eine Tür hinter sich zu. Zuletzt hob jemand den abgetrennten Schädel auf, stand einen Augenblick lang unschlüssig damit am Fuß des Masts und trat an die Reling. Dort ließ er den Kopf achtlos ins Wasser fallen. Faun und Tiessa hörten ihn auf der Oberfläche aufschlagen.
    Das Deck leerte sich, bis nur noch zwei Silhouetten zu sehen waren. Alle Übrigen hatten sich wieder in die Mannschaftsquartiere unter Deck zurückgezogen. Die beiden Wachtposten bezogen gemeinsam Stellung am Bug, warteten eine Weile, bis sie ganz sicher waren, dass der Afrikaner nicht zurückkehren würde, und ließen sich nieder. Damit verschwanden sie aus Fauns und Tiessas Sichtfeld, wurden eins mit den schwarzen Aufbauten der Dromone.
    Tiessas Herzschlag hatte sich noch nicht beruhigt, und auch Faun schnappte nach Atem.
    »Das ändert nichts«, flüsterte sie.
    Er musterte sie prüfend. Dann wandte er seinen Blick wieder zur Silhouette des Schiffes. »Sie haben nur zwei Wächter zurückgelassen.« Er deutete auf die Planken, die an Bord der Dromone führten. »Viel Zeit bleibt uns nicht mehr.«
    Sie nickte, schob sich rasch auf ihn zu und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Er starrte sie noch an, während sie bereits das Bündel auf ihrem Rücken festzurrte.
    »Viel Glück«, sagte sie, als er sich nicht regte, aber es klang eher wie: Nun mach schon!
    Faun schluckte und schenkte ihr ein Grinsen.
    Dann brachen sie auf.
    Es ging leichter, als er befürchtet hatte.
    Niemand beobachtete sie, als sie sich zur Anlegestelle vorpirschten, ein letztes Mal sichernd die Umgebung absuchten und bald darauf geduckt über den Steg huschten. Tiessa bewegte sich flink. Nur als die Planke, über die sie an Bord schlichen, unter ihren Füßen vibrierte und knirschte, zögerte sie, doch nun war es Faun, der sie mit sich zog.
    Sie betraten das Schiff in der Mitte des Hauptdecks, auf halber Strecke zwischen dem Achterkastell und dem Bug mit dem mörderischen Rammsporn. Irgendwo dort vorn mussten sich die beiden Wachtposten aufhalten. Faun hörte sie leise miteinander reden, konnte sie aber nirgends entdecken. Wohlweislich hielten er und Tiessa sich von den trüben Lichtkreisen rund um die Lampenkäfige fern. Jenseits davon, hinter Aufbauten, Kisten und zwischen den Bänken der Ruderer war die Dunkelheit undurchdringlich.
    Faun wies auf eine der vorderen Ruderreihen. Gemeinsam gingen sie dahinter

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