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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Keine Lampen waren an Bord entzündet worden, nur Mond und Sterne spendeten blasses Halblicht.
    Fauns Kehle war ausgetrocknet. Der Durst hatte Tiessa und ihn immer wortkarger werden lassen. Irgendwo an Deck musste es Fässer mit Trinkwasser für die Ruderknechte geben. Ein Gefäß, um das Wasser hinab in den Laderaum zu tragen, besaß er nicht; er würde sich hier oben eines besorgen müssen.
    Er überwand seine Furcht und verließ den Schutz der Kisten. Seine nackten Füße verursachten kaum einen Laut auf den Planken.
    Fast wäre er dem Wächter direkt in die Arme gelaufen.
    Der Mann stand am Fuß des hinteren Masts und kratzte sich mit einer Messerspitze Schmutz unter den Fingernägeln hervor. Er war so vertieft in sein Tun, dass er nicht bemerkte, wie Faun zwischen den Ruderbänken abtauchte. Die Züge des Mannes lagen im Schatten, aber seine Hände verrieten, dass er ein Weißer war, vielleicht einer von Achards Räubern.
    Während Faun noch überlegte, wie er sich am unauffälligsten auf die Suche nach den Trinkwasservorräten machen könnte, setzte sich der Mann am Mast in Bewegung und entfernte sich, Die Galeere besaß eine beträchtliche Länge, und schließlich konnte Faun keine Schritte mehr hören. Der Wächter musste sich jetzt vorn am Bug befinden.
    Der Himmel war sternenklar und verlieh dem Deck die Farbe von Eisen. Faun hob langsam den Oberkörper und spähte über die blank geriebenen Bänke. Am Bug stand tatsächlich eine Gestalt und blickte zum öden Ufer hinüber; das musste der Mann vom Mast sein.
    In der Mitte des Schiffes, angeordnet um die drei Masten, gab es zahlreiche Fässer, aber sie waren alle verschlossen und ihre Deckel mit Keilen gesichert. Eines zu öffnen hätte zu großen Lärm verursacht, und ohnehin blieb Faun keine Zeit, in jedem einzelnen nach Wasser zu suchen.
    Sein Blick huschte zurück zum Achterkastell, wo sich tagsüber der Steuermann und der Kapitän aufhielten. Dort oben gab es ganz sicher Wasser. Zudem wurde dort keine Ladung aufbewahrt. Falls sich also auf dem Kastell ein Fass befand, standen die Chancen gut, dass es mit Trinkwasser gefüllt war.
    Faun verließ den Schutz der Ruderbänke und eilte zur Treppe hinüber, deren Stufen hinauf zum Kastell führten. Er zog seinen Dolch. Die Waffe fühlte sich schwerer an als sonst.
    Vorsichtig huschte er die ersten Stufen hinauf. Hier oben gab es in der Tat ein Fass. Es stand auf der anderen Seite des Kastells, an der zum Ufer gewandten Reling. An seinem Metallrand hingen drei verkorkte Lederschläuche. Der Deckel lag obenauf, aber Faun sah keinen Keil, nur einen Handgriff.
    Ganz langsam bewegte er sich von der Treppe in die Richtung des Fasses. Dabei sah er über die Schulter zurück zum Bug. Er konnte nicht sehen, ob der Wächter dort noch stand; Mast und Takelage verwehrten ihm die Sicht.
    Faun erreichte das Fass. Den Dolch hielt er fest umklammert, der Griff fühlte sich feucht an. Ihm war schlecht vor Angst. Ganz langsam hob er den Deckel und schob ihn lautlos ein Stück zur Seite. Sein Herz schlug noch schneller, als er in der Finsternis darunter die Wasseroberfläche schimmern sah – nur tat sie das so weit unten, dass er sich wohl oder übel in das Fass hineinbeugen musste, um einen der Schläuche ins Wasser zu tauchen.
    Ein leises Murmeln wurde von der Böe über das Achterdeck getragen. Wo steckte der Pirat? Der Teil des Bugs, den Faun von hier aus jetzt sehen konnte, war verlassen. Der Mann musste sich irgendwo unten zwischen den Schatten des Hauptdecks bewegen.
    Faun nahm einen der Lederschläuche, entkorkte ihn und versuchte, ihn am ausgestreckten Arm ins Wasser zu tauchen. Doch die Oberfläche war zu tief unten, er musste den Dolch auf der Reling ablegen und beide Hände zu Hilfe nehmen. Vorsichtig drückte er den Lederschlauch ins Wasser. Tatsächlich stiegen Luftblasen auf, aber sie platzten so leise, dass die Laute nicht aus dem Fass ins Freie drangen.
    Faun hing kopfüber im Inneren und sah nichts als Dunkelheit. Sein Wams rutschte ihm halb über den Rücken, der Wind strich kühl über seine Haut. Jede Sekunde erwartete er, dass ihn noch etwas anderes dort berührte.
    Eine Hand.
    Eine Axt.
    Er konnte es nicht erwarten, bis der Schlauch endlich voll war. Als er ihn langsam aus dem Wasser hob, war er gerade mal zu drei Vierteln gefüllt.
    Schwitzend zog er Kopf und Schultern aus dem Fass. Sein erster Blick suchte den Wächter. Vergeblich.
    Die Versuchung, einen zweiten Wasserschlauch zu füllen, war groß.

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