Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
Gelegenheit zu einer Erwiderung, sondern fuhr gleich fort: »Hört zu, wir sind nicht weit vom Ufer entfernt. Zu weit, um zu schwimmen. Aber es gibt ein paar Rettungsboote, und mit einem davon werdet ihr es wohl bis an die Küste schaffen.«
    »Welche Küste?«, fragte Tiessa.
    »Italien. Irgendwo im Süden. Weiß der Teufel, wo genau.«
    Sie presste die Lippen aufeinander und schien ein Stück in sich zusammenzusinken.
    Faun sah hinauf zur geschlossenen Luke. »Sind Wächter an Deck?«
    »Ich bin der Wächter«, entgegnete Zinder. »Nachts Wache zu halten ist nicht gerade die beliebteste Aufgabe an Bord. Achard hat dafür gesorgt, dass ich besonders oft das Vergnügen habe.«
    »Sonst ist keiner da oben?«
    »Nicht im Moment.«
    »Was ist das zwischen dir und Achard?«
    »Sagen wir, bei unserer ersten Begegnung auf Hoch Rialt sind wir nicht gerade die besten Freunde geworden. Später dann, in Venedig, habe ich ihn überzeugen können, dass niemand so viel über das Heer der Kreuzfahrerinnen weiß wie ich. Er glaubt, dass ich einen Großteil dieser Mädchen zu Kämpferinnen ausgebildet habe – und dass ich ihre Schwächen kenne.«
    Faun traute Zinder nicht über den Weg. Und doch standen dagegen all die Tage, in denen der Söldner für sie den Kopf riskiert und sie mit Wasser und Nahrung versorgt hatte. Er blickte zu Tiessa hinüber, aber sie starrte nur düster zu Boden. »Was ist mit dir?«, fragte er schließlich den Söldner.
    »Ich bleibe. Mir droht keine Gefahr. Erst recht nicht, wenn ihr beiden von Bord seid.« Zinder deutete auf ihre Bündel am Boden. »Und jetzt packt eure Sachen zusammen. Es geht los.«
    Auf jeder Seite der Saragossa gab es drei Beiboote. Sie ruhten in Aufhängungen aus Holz und Tauen. Im Ernstfall würde nur ein Bruchteil der Besatzung darin Platz finden. Eines von ihnen unbemerkt zu Wasser zu lassen entpuppte sich als mühsamer, als Faun gehofft hatte.
    Der Himmel war in dieser Nacht bedeckt, die Luft drückend. Möglicherweise zog ein Gewitter herauf. Doch nach all den Tagen der Gefangenschaft unter Deck erschien es Faun und Tiessa wie ein Geschenk, überhaupt frische Luft atmen zu dürfen.
    Das Ufer war fast unsichtbar, so weit lag es entfernt. Faun wusste, wie man ruderte, aber es war Jahre her, seit er zuletzt in einem Boot gesessen hatte. Schon damals hatte er sich nicht wohl gefühlt – auf einem Tümpel, und was hätte da schon passieren können? –, und jetzt, auf dem offenen Meer, wurde ihm übel bei dem Gedanken, sich in einer solchen Nussschale den Wellen anzuvertrauen. Tiessa war schweigsam und sichtlich verängstigt.
    Zu dritt gelang es ihnen schließlich, dass Boot zu Wasser zu lassen. Zinder hatte eines der Beiboote am Bug gewählt, für den Fall, dass es von der aufgewühlten See gegen den Rumpf der Saragossa geworfen werden würde. Hier vorn war die Gefahr nicht ganz so groß, dass der Lärm jemanden alarmieren würde. Trotzdem blieb ihnen kaum Zeit. Spätestens beim vierten, fünften Schlag gegen das Schiff würde irgendwer heraufkommen, um nach dem Rechten zu sehen.
    Der Kiel des Ruderbootes schlug auf die Wellen. Sofort wurde es erfasst und gegen die Schiffswand geschleudert. Das Donnern des Aufpralls war um einiges lauter, als Faun befürchtet hatte. Ein solcher Krach konnte gar nicht unbemerkt bleiben.
    »Rein mit euch!« Zinder hakte das Ende einer Strickleiter an der Reling ein. Tiessa kletterte als Erste in die Tiefe. Das Ende der Leiter baumelte ins Wasser und wurde von den Wogen umhergeschleudert. Tiessas Gewicht hielt den oberen Teil einigermaßen ruhig, aber sie war zu leicht, um gegen die Gewalten der See weiter unten anzukommen. Die Leiter drohte sich zu verheddern und sie mit dem Rücken gegen den Rumpf zu schleudern. Tiessa gelang es, siehe gerade so weit zu drehen, dass sie nur mit den Knien gegen das Holz schlug. Sie stieß einen dumpfes Stöhnen aus, konnte sich aber festhalten.
    Noch schwieriger wurde es, von der Leiter zum Boot überzuwechseln. Als die Seite des Ruderboots zum zweiten Mal lautstark gegen den Rumpf der Saragossa krachte, stieß Tiessa sich ab und versuchte, sich im Sprung zu drehen. Sie prallte mit dem Oberschenkel gegen eine der Bänke, rappelte sich auf und machte sich daran, die Ruder loszuschneiden; sie waren mit Seilen an den Bänken festgebunden.
    Faun wollte ihr gerade auf die Leiter folgen, als Zinder einen Fluch ausstieß.
    »Schnell!«, rief der Söldner.
    Faun folgte seinem Blick. Über dem Horizont im Osten war ein

Weitere Kostenlose Bücher