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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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für die Armbrustschützen. Eisen blitzte hinter der Reling. Dort wurde noch immer gekämpft! Zinder wehrte sich gegen eine hoffnungslose Übermacht. Faun sah weder ihn noch einen der anderen deutlich genug, um etwas über den Verlauf des Gefechts zu erkennen. Ich habe ihm nicht getraut, schoss es ihm durch den Kopf. Dabei riskiert er dort oben für uns sein Leben.
    »Nicht mehr weit«, brüllte Tiessa über das Tosen der See und den Lärm des Gewitters.
    Die Wellen warfen sie jetzt immer schneller auf das Ufer zu Schließlich zogen die beiden ihre Ruder ein und ließen sich treiben. Als ringsum die ersten Wellen brachen, ein Inferno aus Schaum und schwarzem Wasser, drohte das Boot zu kentern. Dann traf sie ein furchtbarer Schlag.
    Es dauerte eine Weile, ehe Faun begriff, dass es Land war, das sie erreicht hatten. Tiessa kletterte bereits über den Bootsrand und stolperte inmitten der Brandung an Land. Die Blitze warfen ihr Licht auf eine seltsame Landschaft – bizarre Felsen, bucklige grauweiße Ungetüme aus Sand und Stein. Weit dahinter erhoben sich Bäume ohne Laub und erschreckend dürr. Wie titanische Gerippe, die sich mit verkrallten Knochenhänden halb aus dem Erdreich gegraben hatten, um dann zu erstarren.
    Zwischen zwei Kalkfelsen gingen Tiessa und Faun in Deckung. Die zerklüfteten Formationen lagen eng beieinander, keine war höher als zwei Mannslängen.
    Faun kauerte sich auf den Boden und zog Tiessa an sich. Er brachte vor Erschöpfung kein Wort heraus, aber bei dem tobenden Gewitter um sie herum hätte sie ihn ohnehin kaum verstanden. Und was hätte er auch sagen sollen?
    So lehnten sie beide stumm an der grobporigen Kalkwand. Nach einiger Zeit fielen Tiessa vor Erschöpfung die Augen zu, und auch Faun musste sich zwingen, wach zu bleiben. Noch war die Gefahr nicht gebannt. Die Saragossa lag am Horizont vor Anker. Faun hegte die vage Hoffnung, dass sie nur das Ende des Gewitters abwartete, ehe sie in See stach. Vielleicht hatte niemand an Bord erkannt, wer die beiden Flüchtigen waren.
    Aber welchen Preis hatten sie für ihre Flucht gezahlt? Zinder war entweder tot oder ein Gefangener Achards. Der ehemalige Söldnerführer hatte sich für sie geopfert.
    Faun musste sich das erst bewusst machen, ehe ihm endgültig klar wurde, was während der letzten Stunde geschehen war. Ihre Reise auf der Spur der Kreuzfahrerinnen war beendet. Alles, womit sie jetzt dastanden, war ihr Leben und eine gehörige Portion Ungewissheit, wie es von nun an weitergehen sollte.
    Er strich sanft über Tiessas Haar. Es fühlte sich immer noch feucht an. Sie wimmerte im Schlaf.
    Du wirst dieses Mädchen ins Verderben führen. Zinders Worte klangen dumpf in seinen Ohren.
    Als endlich der Donner verebbte und die Blitze auf grellweißen Spinnenbeinen Richtung Horizont wanderten, dämmerte es bereits. Der Himmel verwandelte sich allmählich von einem glühenden Fanal in eine blaue Kuppel. Es wurde sehr warm, selbst so früh am Morgen.
    Faun erhob sich und trat aus dem Schutz der Felsen. Die Sonne brannte auf die See und die karge Kreidefelsenküste herab. Der Tag würde heiß werden.
    »Sie ziehen weiter«! Tiessa war aufgewacht und hinter ihn getreten. Sie legte ihm die Hand auf den Arm.
    Faun beschattete seine Augen. Tatsächlich. Die Saragossa fuhr ihre Ruder aus und stach in See.
    »Bedeutet das, wir sind in Sicherheit?«, fragte sie zweifelnd.
    Faun nickte unsicher, löste sich von ihr und trat auf den Strand hinaus, bis die Ausläufer der Brandung seine Stiefel berührten. Die Galeere entfernte sich, schrumpfte langsam dem Horizont entgegen. Der Lärm der Ruder war längst nicht mehr zu hören.
    Doch statt Erleichterung empfand er vielmehr Verzweiflung. Die Piraten hatte sich auf den Weg gemacht, die Flotte der Sklavenjäger zu treffen, die nur darauf wartete, dass die Saragossa zu ihnen stieß. Jetzt gab es niemanden mehr, der Saga warnen konnte. In all den Wochen war die Entfernung zwischen ihnen ungeheuer groß gewesen, aber es hatte zumindest die ferne Aussicht auf ein Wiedersehen gegeben. Nun aber erlosch auch der letzte Funken Hoffnung in ihm.
    Tiessa war ihm gefolgt.
    »Was ist mit Zinder?«, fragte sie leise. »Wenn sie ihn gefangen genommen und gefoltert hätten, wären sie nicht in See gestochen, sondern würden uns suchen.«
    Faun blickte sie an. In ihren Pupillen spiegelte sich winzig klein sein Gesicht. Vermutlich war er ebenso blass wie Tiessa.
    »Zinder hätte uns niemals verraten«, behauptete er ohne

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