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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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feiner rötlicher Schimmer erschienen, das allererste Glühen des Sonnenaufgangs. Es reichte nicht aus, um die Gesichter der Männer zu erhellen, die jetzt durch die Tür des Achterkastells an Deck stürzten, und so erfuhr er nicht, ob Achard oder Qwara unter ihnen waren.
    »Beeil dich!«, befahl Zinder noch einmal, dann zückte er seinen Dolch. Das Schwert mit der auffälligen Kreuzstange ließ er in der Scheide stecken.
    Etwas in Faun sträubte sich, den Söldner sich selbst zu überlassen. Gerade wollte er nach seiner eigenen Klinge greifen, als Zinder ihm einen groben Stoß gegen die Schulter versetzte.
    »Lass das! Sie braucht dich!«
    »Die werden dich umbringen!«
    »Willst du, dass sie Tiessa in die Finger bekommen? Ihr müsst rudern. Schnell!« Mit einem zweiten, noch heftigeren Stoß verlieh er seinen Worten Nachdruck.
    Noch einmal kreuzte Faun seinen Blick. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Alles erschien ihm falsch und richtig zugleich.
    Die Piraten rasten heran, umrundeten in Windeseile Kisten und Masten. Vier waren es mindestens, vielleicht noch weitere dahinter.
    »Verflucht, Faun! Hau schon ab!«
    Faun zog sich über die Reling. Seine Füße berührten die Sprossen. Die Leiter tobte unter ihm. Tiessa schrie etwas. Das Ruderboot krachte zum dritten und vierten Mal gegen den Rumpf. Bald würde die ganze Mannschaft auf den Beinen sein.
    Die ersten beiden Piraten erreichten Zinder, ein Araber mit Krummschwert und ein Afrikaner, in dessen Wangen ein Muster aus Perlen eingestochen war. Er trug einen leichten Streitkolben mit stachelbewehrtem Klingenkopf. Als der Mann seinen Mund aufriss und einen Kampfruf ausstieß, sah Faun seine spitz gefeilten Zähne.
    Zinder tauchte unter dem ersten Hieb des Arabers hinweg Zugleich verfehlte ihn der Streitkolben um Haaresbreite – und hämmerte unmittelbar vor Fauns Gesicht in die Reling! Splitter hagelten ihm ins Gesicht.
    Zinder stieß brüllend den Dolch vor und schlitzte dem Araber der Bauch auf. Der Mann kreischte und stolperte. Der Söldner zog ihn zwischen sich und den Afrikaner, der gerade den Streitkolben aus dem Holz zerrte. Ehe er die furchtbare Waffe erneut schwingen konnte, prallte der Araber gegen ihn und riss ihn fast zu Boden. Der Afrikaner taumelte, fing sich und wehrte mit dem Griff des Kolbens Zinders Dolchstoß nach seiner Kehle ab. Zu spät begriff er, dass es sich um eine Finte handelte. Zinder ließ die Klinge herumwirbeln, sein nächster Schlag kam von der Seite und zerfetzte den rechten Oberarm seines Gegners. Schreiend wich der Afrikaner einen Schritt zurück und ließ den Kolben fallen. Der Söldner packte seinen Dolch an der Spitze, holte aus und schleuderte ihn einem dritten Piraten entgegen, der entlang der Reling auf ihn zugerannt kam. Die Klinge bohrte sich in sein Auge und fegte ihn rückwärts von den Füßen. Zinder sah ihn nicht sterben, denn da packte er schon den Streitkolben des verletzten Afrikaners. Ehe dieser sich erneut auf ihn stürzen konnte, ließ Zinder die Waffe in einem Halbkreis auf ihn zusausen. Die Eisenspitzen fetzten das Gesicht des Schwarzen in Streifen und legten gelbliche Kieferknochen frei.
    »Faun!«
    Tiessas Stimme ließ Faun endlich aus seiner Erstarrung erwachen. Er blickte über die Schulter nach unten, sah sie schwankend im Boot stehen und überlegte, ob er einfach springen sollte. Aber die Entfernung war zu groß. Er würde sich auf den harten Holzkanten des Bootes alle Knochen brechen. So schnell er konnte, kletterte er deshalb die Sprossen hinab, hörte, wie über ihm an Deck der Kampf weiterging, hatte dann aber genug damit zu tun, die wirbelnde Leiter zu bändigen. Die See war zu aufgewühlt, um sich ins Wasser fallen zu lassen. Er konnte schwimmen, gewiss, hatte es aber noch nie mit solchen Wogen zu tun gehabt. Und er hatte eine Höllenangst vor dem, was darunter sein mochte: ein schwarzer Abgrund, Gott weiß wie tief. Doch so grässlich die Vorstellung all dessen war, es war nichts gegen die konkrete Bedrohung von oben, wo Zinder wie ein Wahnsinniger gegen eine Übermacht focht.
    »Spring!«, rief Tiessa, aber Faun wagte es noch immer nicht. Sie hatte eines der Ruder zur Seite hin ausgestreckt und versuchte, das Boot so zu drehen, dass es sich unter ihn schob. Wenn sie nicht aufpasste, würden die Wellen ihr das Ruder aus den Händen reißen. Oder, schlimmer noch, Faun geriete mit den Beinen zwischen Boot und Bordwand.
    Über ihm ertönte ein Schrei, und dann raste plötzlich etwas von oben auf

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