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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Überzeugung.
    »Doch«, sagte eine männliche Stimme jenseits der Felsen. »Hätte er – wenn ihm keine andere Wahl geblieben wäre.«

Der Tempel
     
    Der verbrannte Wald, den sie durchquerten, war eine aschfarbene Ödnis, in der kaum noch etwas lebte. Einst war er dicht und weitläufig gewesen, ein grüner Teppich bis zu den Berghängen im Westen. Doch nun lastete der Geruch von Rauch auf dem Land, und nicht einmal der scharfe Seewind, der von Osten her über die Stümpfe und Baumkrüppel wehte, konnte ihn vertreiben.
    Die drei hatten sich gemeinsam auf den Weg gemacht, nachdem Tiessa Zinders zahllose Wunden notdürftig versorgt hatte. Der Söldner erholte sich erstaunlich schnell, auch wenn er beim Gehen hinkte und eine Astgabel als Krücke benutzen musste.
    Tiessa fragte ihn nach den Ereignissen an Bord der Saragossa, aber Zinder winkte ab. »Meine Großmutter konnte besser mit der Armbrust umgehen als Achards Schützen«, knurrte er und grinste, aber Faun sah ihm an, dass er ebenso erleichtert und überrascht war wie sie, dass er mit dem Leben davongekommen war.
    Vogelschwärme flogen in großer Höhe über dem Wald und ließen sich nicht nieder. Einmal sahen sie einen abgemagerten Wolf, aber sie hatten keinen Bogen, um ihn zu erlegen, und er hätte sie ohnehin nicht satt gemacht. Eine Quelle, die aus einem unzugänglichen Dickicht verkohlten Buschwerks rann, nutzten sie nur, um den allerschlimmsten Durst zu löschen; das Wasser schmeckte nach Asche, und sie fürchteten, es könnte sie krank machen.
    Sie wanderten parallel zur Küste, immer weiter nach Süden.
    Dabei folgten sie einer Schneise durch das Brandland, die einmal ein Weg gewesen sein mochte. Es gab keine Pflastersteine, wie auf manchen der uralten Straßen, die alle Länder von hier bis zum Nordmeer durchschnitten, doch die Bresche durch die verkohlte Einöde verlief zu regelmäßig und zu gerade, um nicht das Werk von Menschen zu sein. Tiessa fragte ob wohl auch das Feuer, das diese Verheerung angerichtet hatte von Menschenhand gelegt worden war, aber keiner wusste darauf eine Antwort. Zinder erzählte ihnen von Schlachten, in denen er gekämpft hatte und in deren Verlauf Waldland entzündet worden war, um den Feind in bestimmte Richtungen zu treiben oder vom Nachschub abzuschneiden. Gut möglich, meinte er, dass etwas Ähnliches auch hier geschehen war. »Aber es ist eine Sünde, so etwas zu tun«, sagte er. »Diese Bäume und die Tiere, die in ihrem Schutz gelebt haben, hatten nichts mit den Kriegen der Menschen zu schaffen.«
    Die Hand des Söldners ruhte wie so oft auf dem Griff seines Schwertes, und Faun fragte sich, wie es ihm gelungen war, die Waffe wieder einzustecken, bevor er von Bord gegangen war.
    »Ich habe es nicht benutzt«, erklärte Zinder schulterzuckend. »Man zieht Wielands Kettenschwert nicht ohne guten Grund.«
    »Wielands Kettenschwert?« Faun erinnerte sich an die alten Legenden, während Tiessa ziemlich ratlos dreinschaute. »Die Wunderwaffe von Wieland dem Schmied? Wie sollte die wohl in deine Finger geraten sein?«
    Plötzlich zeigte sich ein Anflug von Zorn in Zinders Augen. Sein schleppender Schritt wurde ein wenig schneller. »Wie das Schwert zu mir gelangt ist, geht dich nichts an. Es gibt fröhlichere Geschichten als diese.«
    »Wenn das da wirklich das Kettenschwert ist, warum hast du es dann nicht gegen die Piraten benutzt? Einer gegen Hundert scheint mir ein ehrenhafter Kampf zu sein, sogar für eine legendäre Waffe.«
    Zinder hob die Astgabel, auf die er sich beim Gehen stützte. »Im Kampf geht es niemals um Ehre, Faun. Nur um Leben und Tod. Aber Wieland hat dieses Schwert für die alten Götter geschaffen, und sie waren unsterblich. Darum ist es nicht an einem von uns, diese Klinge zu führen.«
    Faun wusste darauf nichts zu erwidern, und so wanderten sie schweigend weiter. Als die Sonne die westlichen Bergkuppen berührte, beschlossen sie, sich nach einem Lagerplatz umzuschauen. Sie liefen ein Stück weit nach Osten, wieder der Küste und den Kreidefelsen entgegen, in der Hoffnung, dass der Aschegestank dort nachlassen würde. In einer Senke machten sie ein Feuer, aßen den Rest ihres klammen und salzigen Brotes und legten sich zum Schlafen. Sie hatten keine Decken, aber die brütende Sonne hatte den Boden derart aufgeheizt, dass sie auch bei Nacht nicht frieren würden.
    Irgendwann begann Zinder von dem Stück Land zu erzählen, das er einmal besitzen würde, von seinem Getreide und dem Vieh und wie er an

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