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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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dass er ohne den Söldner am Ende wäre. Wahrscheinlich hätte er noch Tage dagesessen, sich selbst bemitleidet und wäre irgendwann mit dem Kopf gegen die Wand gelaufen, weil er nicht nur Saga, sondern nun auch noch Tiessa verloren hatte.
    Es klopfte an der Tür. Ein alter Mann betrat die Kammer, nicht der Diener von vorhin, sondern ein Edler im schwarzen Waffenrock. Abschätzend blickte er von einem zum anderen.
    »Lasst alle eure Waffen hier und folgt mir«, sagte er. »Seine Majestät der Kaiser wünscht euch zu sehen.«
    Auf dem Weg durch die steinernen Flure des Rathauses stellte sich ihnen der Mann als Konrad von Scharffenberg vor. Faun kannte diesen Namen nicht, aber er erfuhr bald, dass er kein Geringerer war als der Hofkanzler des Kaisers persönlich. Scharffenberg war ein hochgewachsener Mann mit silberweißem Haar und vollem Bart, scharf geschnittenen Zügen und klaren Augen, denen keine Bewegung seiner beiden Begleiter zu entgehen schien. Er trug ein Schwert in edel verzierter Scheide am Gurt, außerdem eine goldene Kette mit Wappenmedaillon, womöglich ein Zeichen seiner Kanzlerwürde.
    »Verzeiht, Herr«, sagte Zinder, als sie eine Treppe ins Erdgeschoss hinabstiegen. »Aber es scheint mir ungewöhnlich, dass ein Mann Eurer Stellung uns zum Kaiser bringt und –«
    »Und kein Dienstbote?« Scharffenberg lächelte, aber es sah nicht besonders einnehmend aus. »Wir sind im Krieg. Das hier ist kein Palast, und der Kaiser wünscht kein Aufsehen.«
    Kein Aufsehen um die Braut, die ihm davongelaufen ist, dachte Faun bitter. Deshalb also kein prächtiger Empfang, als sie ins Dorf geritten waren. Sicher waren auch die beiden Ritter und ihre Vasallen zum Schweigen verpflichtet worden. Und nun holte einer der engsten Vertrauten des Kaisers sie ab, damit niemand ihnen ungebührliche Fragen stellen konnte. Zum Beispiel, wie sie Tiessa überhaupt begegnet waren.
    Eine plötzliche Befürchtung durchzuckte ihn. Wenn der Kaiser den ganzen Vorfall vertuschen wollte, dann würde er dort damit beginnen, wo er die größte Gefahr eines losen Mundwerks vermutete: bei zwei Herumtreibern, die ins nächste Wirtshaus ziehen und die ganze Geschichte zum Besten geben mochten, womöglich angereichert mit pikanten Details, die nicht nur den Ruf des Kaisers und seiner Braut, sondern gar die ganze Hochzeit gefährden konnten – und damit den empfindlichen Frieden zwischen Staufern und Welfen und zugleich Ottos Anrecht auf den Thron.
    Er wechselte einen Blick mit Zinder und ahnte, dass dem Söldner ähnliche Gedanken durch den Kopf gingen. Zinders Stirn war von Sorge umwölkt, sein Blick düster. Mehrfach sah er unauffällig über die Schulter. Als Faun gleichfalls zurückblickte, entdeckte er zwei Soldaten, die sich ihnen lautlos angeschlossen hatten und ihnen im Abstand von ein paar Schritt folgten. Beide hatten die Hände an den Schwertgriffen.
    Und nun?, formte Faun lautlos mit den Lippen.
    Zinder schüttelte den Kopf. Der Hofkanzler ging vorneweg und schien den beiden keine Beachtung mehr zu schenken.
    »Wo genau führt Ihr uns hin?«, erkundigte sich Zinder.
    »Zum Kaiser. Das sagte ich schon.«
    Sie folgten jetzt einem kurzen Gang, der vor einer Doppeltür endete. Zwei Öllampen spendeten das einzige Licht, es gab hier keine Fenster. Hinter der Tür mochte sich ein Versammlungsraum befinden, ein Kerker oder ein stiller Hinterhof, wie geschaffen für eine Hinrichtung. Fauns ganzer Körper verspannte sich. Selbst im Gehen fühlte es sich an, als bekäme er Krämpfe in den Unterschenkeln. Das Bauchweh, das ihn seit letzter Nacht quälte, bekam eine neue Qualität, und er hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen.
    Irgendwo rasselte Eisen.
    Faun sah über die Schulter, aber dort waren nur die beiden Soldaten, ihre Schwerter steckten in den Scheiden. Einer schenkte ihm ein schiefes Grinsen.
    Scharffenberg blieb vor der Flügeltür stehen und drehte sich zu ihnen um. »Ich muss euch zuerst noch eine Frage stellen.«
    »So?« Zinder tat unbeschwert. Hinter ihnen verharrten nun auch die Soldaten.
    Die Augen des Hofkanzlers verengten sich. »Wo seid ihr der Prinzessin begegnet?«
    »Auf einem Schiff«, entgegnete Zinder, bevor Faun etwas erwidern konnte. »Einem Handelsschiff auf dem Weg ins Heilige Land.«
    Scharffenberg hob eine Augenbraue. »Sie war auf einem Schiff?«
    »Als blinder Passagier. Sie wird es Euch bestätigen. Mein Freund hier und ich gehörten zur Mannschaft.«
    »Ihr seht mir nicht aus wie Seemänner.«
    »Wir

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