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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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damit war auch diese Hürde beseitigt, und die Verlobung wurde ausgesprochen. Die staufischen Fürsten waren zufrieden, die Weifen sowieso, und Otto wurde endlich zum Kaiser gekrönt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er besonders glücklich war, als ihn vor ein paar Monaten hier in Italien die Nachricht erreicht hat, dass Beatrix klammheimlich bei Nacht und Nebel davongelaufen war.« Er schwieg einen Moment, und als er fortfuhr, hatte sich der Klang seiner Stimme verändert. »Man hat sich viel über ihr Leid erzählt – wie sie aus der Trauer um ihren ermordeten Vater gerissen und in ein noch größeres Unglück gestürzt wurde. Otto verlangte, dass sie nicht länger auf dem Hohenstaufen leben sollte, sondern in seine Heimat Braunschweig gebracht wurde. Er hat sie auf Schloss Dankwarderode einquartieren lassen, und dort sei sie schwermütig geworden, hieß es, fernab ihrer Heimat, ihrer beiden Schwestern und der vertrauten Umgebung Hohenstaufens. Ob das nun die Wahrheit ist oder nicht – und besonders schwermütig ist sie mir nun wirklich nicht vorgekommen –, fest steht, dass sie schließlich die Möglichkeit zur Flucht genutzt hat. Und wie es aussieht, ist sie dabei ausgerechnet dir über den Weg gelaufen.«
    Faun versuchte sich Tiessa als Prinzessin in Prunk und Überfluss vorzustellen, in feinen Kleidern, im Kreise ihrer Hofdamen, mit Stickzeug in den Händen, kichernd, intrigierend, beschäftigt mit dem, womit sich die Braut eines Kaisers eben beschäftigen mochte – oder wie Faun sich ein solches Leben ausmalte. Nichts an diesen Bildern erschien ihm wirklich. Tiessa hatte mit ihm unter freiem Himmel übernachtet, das war die Wirklichkeit. Sie hatten gestritten, sie hatten gemeinsam im Dreck gelegen, sogar Pferde gestohlen. Und zum Teufel – sie hatten sich geliebt. Nichts von alldem passte zu seiner Vorstellung von einer Prinzessin, schon gar nicht von einer künftigen Kaiserin.
    Er musste wieder an ihre Erlebnisse auf Hoch Rialt denken. An ihre Verfolger, den Falkner und seine drei Gefährten, und an den Tod der Ritter unter Achards Klingen. Waren dies kaiserliche Ritter gewesen? Männer, die von Ottos Stellvertretern ausgesandt worden waren, um die entlaufene Prinzessin wieder einzufangen?
    Zinder fuhr fort. »Beatrix ist in der Überzeugung aufgewachsen, dass Otto und alle Welfen die Todfeinde ihrer Familie sind. Als sie geboren wurde, herrschte Bürgerkrieg. Der Hass auf die Welfen wurde ihr in die Wiege gelegt. Und nun soll sie ausgerechnet den Mächtigsten aller Welfen, den schlimmsten Feind ihres Vaters, zum Gemahl nehmen?« Der Söldner stieß einen Seufzer aus. »Die Arme ist wahrlich vom Schicksal gestraft.«
    Fauns Magen krampfte sich wieder zusammen. Er setzte sich auf, in der Hoffnung, dass das Gefühl ein wenig nachließe. Vergebens.
    »Was jetzt?«, fragte er.
    »Sieht mir nicht so aus, als hätten wir eine Wahl, oder?« Zinder stieg vom Bett und trat ans Fenster. Sein Blick suchte geübt die Gasse am Fuß der Mauer ab. »Da unten ist kein Mensch, aber das täuscht sicher. Der Kaiser im Feindesland dürfte besser bewacht sein als die Reichsschatzkammer. Wahrscheinlich wimmelt es auf den Dächern von Armbrustschützen.«
    »Du glaubst wirklich, sie halten uns hier gefangen?«
    Zinder schüttelte den Kopf. »Uns nicht. Aber Tiessa werden sie kein zweites Mal davonkommen lassen.«
    Faun riss die Augen auf, als er begriff, worauf Zinder hinauswollte. »Das ist nicht dein Ernst!«
    »Du hast sie doch gesehen. Glücklich war sie jedenfalls nicht. Und sie ist schon einmal vor ihm davongelaufen.«
    »Du willst sie hier rausholen? Aus dem Hauptquartier des Kaisers?«
    Der Söldner zuckte die Achseln. »Du liebst sie doch – oder?«
    »Ich würde alles für sie tun. Aber keiner hat etwas davon, wenn man uns umbringt und sie zurück zum Kaiser bringt.«
    »Weißt du, Junge, eigentlich sollten wir beide nicht hier sitzen. Wir sollten auf dem Weg sein zum Hafen auf der anderen Seite dieses gottverfluchten Berges, weil du deine Schwester und ich … nun, weil ich Violante wiedersehen will. Das sind rechtschaffene, akzeptable Gründe, nicht wahr? Und was tun wir stattdessen? Hocken hier auf unseren Betten herum und warten … worauf? Ich sag’s dir: Wir sitzen hier, weil wir beide nicht bereit sind, Tiessa aufzugeben. Und, glaub mir, ich sollte es wahrlich besser wissen. Ich bin alt.«
    Faun sah ihn an wie eine Erscheinung. Plötzlich war er ungeheuer dankbar, dass Zinder bei ihm war. Er begriff,

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