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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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spürte das Aufwallen von Zorn. »Ganz wie Ihr meint, Heiliger Vater.«
    Innozenz’ Lächeln blieb unverändert, aber mit diesem Gesicht der Gegensätze gelang es ihm, zugleich die Stirn zu runzeln. »Ich sehe ebenso wie Ihr die Gefahr, die von dieser Person und ihren Bestrebungen ausgeht. Gahmurets Weib hat eigene Pläne, die nicht zwangsläufig den unseren gleichen. Aber, wie ich es sehe, dienen sie doch in gewisser Weise dem Wohle der Mutter Kirche. Sie zu beseitigen könnte ein Fehler sein.«
    »Ich sehe nicht, inwiefern.« Oldrich hatte es geahnt. Irgendetwas hatte ihn gewarnt, dass Innozenz sich gegen seinen Rat entscheiden würde. Er gab sich größte Mühe, dies nicht als Herausforderung zu deuten, womöglich gar als ersten Hinweis auf einen Gunstverlust. »Es kann nicht im Interesse der Mutter Kirche sein, wenn ein jeder hingeht und in ihrem Namen tut … nun, was sie eben tut.«
    Innozenz verweigerte sich jeglichem Zweifel. »Wir werden abwarten«, sagte er. »Nebenbei bemerkt, Ihr wisst, dass Kaiser Otto der Gräfin nicht eben wohl gesinnt ist. Es würde mich nicht wundern, wenn er längst eigene Meuchelmörder gegen sie ausgesandt hätte. Bis dahin aber werden wir beobachten, was sie tut, und sie uns zu Nutze machen, statt zum Feind.«
    »Was für ein Feind wäre sie schon?«, entfuhr es Oldrich. »Ein Feind ohne Einfluss!«
    »Und das ist es, worin Ihr Euch täuscht, Kardinal. Solltet gerade Ihr es nicht besser wissen? Unterschätzt sie nicht. Und auch nicht den Erzbischof von Mailand, der auf ihrer Seite steht.«
    »Der Erzbischof von Mailand ist –«
    »Ein treuer Diener des Glaubens. Und ein Mann von beträchtlichem Reichtum.«
    »Unbestritten. Aber er –«
    Innozenz brachte ihn mit einem energischen Kopfschütteln zum Schweigen. »Sie wird uns nützlich sein.«
    »Dann sagt mir, wie.«
    Der Papst trat an eines der beiden Buntglasfenster, durch die ein Blick nach außen unmöglich war. Erst nachdem eine Weile mit Schweigen verstrichen war, erkannte Oldrich, dass Innozenz nicht ins Licht blickte, sondern auf das strahlende Bild der Jungfrau, zu dem die Glaskaskaden zusammengefügt waren. Für einen Augenblick sah es tatsächlich aus, als badete der Papst im Schein ihrer Heiligkeit.
    Früher hat er mich um Rat gebeten, dachte Oldrich düster. Jetzt befragt er ein Bild.
    Innozenz wandte sich nicht zu ihm um, als er leise zu sprechen begann. »Hört meinen Plan, Kardinal. Dann werdet Ihr mir Recht geben.«

Die beste Waffe
     
    Es war längst hell geworden. Die Kutsche holperte noch immer ohne Pause durch Schlaglöcher und über Reste uralten Straßenpflasters. Draußen regnete es, ein anhaltender Sommerschauer, der das Tageslicht zu einem dämmerigen Grau dämpfte und Sagas Stimmung widerspiegelte wie ein Blick in ein stilles Gewässer. Wenn sie hinaussah, war es, als schaute sie sich in die eigene Seele: düster, vernebelt und voll von Ruinen.
    Der Bürgerkrieg war längst beendet, die letzte Schlacht vor vier Jahren geschlagen. Philipp von Schwaben hatte das jahrhundertealte Kronerbe der Staufer erfolgreich verteidigt. Es war purer Hohn, dass er nach all den Strapazen und Entbehrungen kurz nach seiner Krönung einem Mordanschlag zum Opfer gefallen war – dazu noch einem der dümmsten Sorte, nicht etwa von seinem Erzfeind Otto von Braunschweig initiiert, sondern die Tat eines Einzelgängers, der sich um seine Verlobung mit einer von Philipps Töchtern betrogen fühlte. Nach dem Mord hatten sich die Staufer bereit erklärt, den Welfen Otto zum Kaiser zu krönen – und damit den jahrelangen Krieg mitsamt seiner Opfer nachträglich zur Bedeutungslosigkeit verdammt. Zuletzt war es, als hätten Philipps Siege nie stattgefunden: Sein Feind saß auf dem Thron des Reiches, Philipps eigene Tochter hatte man dem Welfen zur Frau versprochen.
    Alles sinnlos, dachte Saga, während sie an den überwucherten Trümmern verlassener Dörfer vorüberkamen und auf den Hügeln die Überreste verfallener Burgen passierten. Im Regen und durch die Gitterstäbe wirkte die Szenerie noch farbloser, noch trauriger.
    Am Nachmittag legten sie eine kurze Rast ein. Die Pferdeknechte stellten die drei Kutschen in einem engen Kreis auf. Das Dutzend Soldaten, das die Reisenden auf gerüsteten Rössern eskortierte, bezog rundherum Stellung.
    Der Ort war klug gewählt. Sie befanden sich am Rand eines dichten Waldes. Saga blickte vom rechten Fenster aus in verwobenes Unterholz. Die tief hängenden Äste der Bäume und das wuchernde

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