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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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wünsch dir viel Glück. Das wünsch ich dir ganz aufrichtig.«
    »Du kommst nicht mit?«, brachte Saga hervor, mit einem Mal fast panisch bei dem Gedanken, dass die erste Person, die es gut mit ihr meinte, auf der Lerchburg zurückbleiben würde.
    »Nein. Nur die Kammerzofen der Gräfin reisen mit. Und diese scheußliche Nonne. Und natürlich Frau Violante selbst.«
    »Ich –«
    »Schlaf jetzt.«
    »Aber ich –«
    »Ich weiß. Hab dir gern geholfen. Wünschte, ich könnte mehr für dich tun.«
    »Und Faun? Mein Bruder?«
    Das Gesicht zog sich zurück. »Leb wohl.«
    »Geh … nicht!«
    Keine Antwort mehr. Die Tür wurde geschlossen und von außen verriegelt. Auch an der zweiten knirschte ein Riegel. Fackellicht fiel durch Ritzen zwischen den Vorhängen, schimmerte auf mattgrauen Gitterstäben.
    Faun, dachte sie noch einmal.
    Alles wurde eins. Die zahllosen Stimmen auf dem Hof. Die vielen Schritte. Die vorüberhuschenden Schatten.
    Die Kutsche setzte sich in Bewegung.

Papstpalast
     
    Kardinal Oldrich von Prag stand am Fenster des Papstpalastes . und wartete voller Ungeduld auf die Entscheidung des Heiligen Vaters. Der Kardinal ging auf die sechzig zu, ein beträchtliches Alter, und seine Augen waren schon lange nicht mehr die besten: Was er sah, war eine wogende, diffuse Menschenmasse, die sich vor dem großen Tor des Atriums drängte. Gardisten hielten sie in Schach, aber selbst sie erkannte er nur als eisenblitzende Farbkleckse an den Rändern des Bettlerheeres.
    Seit Jahren sprach er sich dafür aus, einen größeren Sicherheitsradius um die Basilika des Heiligen Petrus und die Palastbauten zu ziehen, aber der Heilige Vater schätzte es nicht, wenn seine Kardinäle sich in Belange der Verwaltung einmischten. Nicht mal Oldrich als seinem engsten Vertrauten gestattete er Mitsprache in dieser Angelegenheit.
    Ruhelos machte Oldrich auf dem Absatz kehrt und durchmaß den Saal mit weiten Schritten. Der Kardinal war noch immer ein großer Mann, kraftvoll und geschmeidig in seinen Bewegungen, nicht so krumm wie manch jüngerer und gewiss sehr viel wacher im Geist als all die anderen Kriecher am Ornatzipfel des Papstes.
    Als Bischof von Prag hatte er erstmals Innozenz’ Blick auf sich gezogen, durch geschicktes Taktieren mit der weltlichen Herrschaft, durch eiserne Härte, wann immer sie ihm angebracht schien – manche mochten das Grausamkeit nennen, aber jene begriffen nichts –, und durch die Schärfe seines Verstandes. Oldrich hatte schnell erkannt, welche Gelegenheit sich ihm durch die Aufmerksamkeit des Heiligen Vaters bot. Und er hatte seine Chance genutzt. Erst hatte der Papst ihn mit Verhandlungen beauftragt, dann, nach vielerlei Bewährungen, mit der Verantwortung für einen gewissen Vertrag bedacht. Neun Jahre war das jetzt her. Oldrich selbst hatte viele der fauligen Früchte dieses Abkommens kosten müssen, und noch heute lag der grässliche Geschmack jener Taten in seinem Mund, schwelte wie eine Glut, die sich zu jeder Stunde neuerlich zum Weltenbrand ausweiten mochte.
    Zum Weltenbrand. Papst Innozenz selbst hatte diese Worte benutzt. Und, bei allen Heiligen, er mochte Recht behalten. Die anderen wollten es nicht begreifen, doch Oldrich wusste Bescheid. Er verstand.
    Seit drei Tagen führte er Gespräch um Gespräch, mit anderen Kardinälen, mit herbeikommandierten Spionen am Kaiserhof, vor allem mit Innozenz selbst. Und nun, nachdem alles gesagt war, jede Warnung ausgesprochen, jede Vision des Untergangs in dunkelsten Farben ausgemalt, nun also hatte sich der Heilige Vater zurückgezogen, um seine Entscheidung zu treffen.
    Innozenz war ein kluger Mann, einer der jüngsten Päpste der Kirchengeschichte und mit einem wachen Geist gesegnet. Oldrichs Argumenten gegenüber war er stets aufgeschlossen gewesen. Die anderen Kardinäle neideten Oldrich die Nähe zu Innozenz’ Ohr.
    Doch der Heilige Vater konnte auch unberechenbar sein. Was, wenn sich der Papst in dieser Angelegenheit gegen das Einschreiten aussprach, das der Kardinal selbst für unumgänglich hielt? Es war möglich. Man musste durchaus mit dem Schlimmsten rechnen.
    Ein junger Priester trat durch einen Steinbogen in den Saal, verbeugte sich ehrerbietig, murmelte die üblichen Grußformeln und schrak zusammen, als Oldrich ihn barsch unterbrach.
    Der Junge spürte die Nervosität des Kardinals, und er musste wissen, dass Oldrich von Prag niemals vergaß, nicht das kleinste Missgeschick, den einfachsten Fehler. Oldrich hatte diese Aura der

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