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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Lanzen. Ihr Befehlshaber, ein grauhaariger Mann mit Bart und schlecht verheiltem Schmiss auf der Wange, stand vor der Tür der gräflichen Kutsche und sprach leise mit jemandem im Inneren. Violantes Gesicht wurde vom Schein einer Kerze aus dem Dunkel gemeißelt, aber ihre Miene war nicht zu deuten. Die Züge des Hauptmanns wirkten ernst und voller Sorge.
    Einmal mehr fragte sich Saga, was hier vorging. Dies war keine gewöhnliche Flucht, und auch keine Reise wie jede andere. Die Wachsamkeit der Soldaten ließ auf ihre Angst vor Angreifern schließen. Sicher, jeder Reisende musste Wegelagerer fürchten, erst recht in Zeiten wie diesen, da noch immer Zigtausende hungerten und unter den Folgen des Bürgerkrieges litten. Doch in Anbetracht des Angriffs auf die Burg war wohl die Sorge über eine weitere Attacke der Kaiserlichen der Grund für die hohe Alarmbereitschaft.
    Saga ging wie selbstverständlich auf die Kutsche der Gräfin zu. Nach wenigen Schritten hielt einer ihrer Bewacher sie am Arm zurück: »Nicht dorthin.« Er drängte sie zu ihrer eigenen Kutsche. Die Tür war weit geöffnet.
    Saga wollte gerade einsteigen, als hinter ihnen ein Ruf ertönte.
    »Wartet!«
    Sie wirbelte noch schneller herum als die beiden Soldaten.
    Die Gräfin kam mit entschlossenen Schritten auf sie zu, betrachtete Sagas nasses Haar, dann fiel ihr Blick voller Missfallen auf den Strick um ihren Hals. »Wenn du mir versprichst, dass du nicht fortläufst, lasse ich dir dieses Ding abnehmen.«
    Saga nickte.
    Violante gab den Soldaten einen Wink. Der eine wollte die Schlaufe lockern, aber Saga schüttelte ihn ab und befreite sich selbst von der Fessel um ihren Hals. Die Haut darunter juckte entsetzlich, und eine Weile lang rieb sie hektisch daran herum.
    »Zwischen den Wagen wird gerade ein weiteres Feuer entzündet«, sagte die Gräfin. »Willst du mich dorthin begleiten? Vorzugsweise, ohne mir das Gesicht zu zerkratzen.«
    Saga nickte erneut, erwiderte das Lächeln der Gräfin aber nicht. Sie versuchte, sich ihre Erleichterung nicht anmerken zu lassen.
    Bald darauf saß sie mit Violante am Feuer. Die Zofen hatten Kissen bereitgelegt. Niemand außer der Gräfin und Saga befand sich auf dem kleinen Platz zwischen den Kutschen. Die Nonne war nirgends zu sehen, und die Zofen waren draußen bei den Soldaten an deren Lagerfeuern. Nur bei den Pferden standen mehrere Wachtposten und blickten ebenso häufig zu den beiden Frauen herüber wie hinaus in die nächtliche Waldlandschaft.
    Violante starrte nachdenklich in die Flammen. »Du wirst nicht fliehen, nicht wahr?«
    »Nein«, sagte Saga mit der Stimme des Lügengeistes. Er hatte ganz nah unter der Oberfläche ihrer Gedanken darauf gewartet, endlich für sie lügen zu dürfen. Es tat gut, ihn wieder zu spüren, obgleich ihr seine Stimme so fremdartig und schrill erschien wie eh und je.
    »Ist das die Wahrheit?«, fragte die Gräfin lakonisch. »Nein, ich glaube, nicht.«
    Unmöglich!, durchfuhr es Saga.
    »Ich werde nicht fortlaufen« , ließ sie den Lügengeist sagen.
    »Natürlich würdest du, wenn du nicht solche Angst um deinen Bruder hättest.« Violante drehte den Kopf und blickte Saga aus tiefen Augenschatten an. »Versuch nicht noch mal, mich anzulügen.«
    Niemand konnte der Macht des Lügengeistes widerstehen. Schon gar nicht so beiläufig, wie die Gräfin es gerade tat.
    Sie muss glauben wollen, dass du nicht fliehen wirst, redete Saga sich ein. Solange sie das nicht tut, kannst du ihr nichts vormachen.
    Aber hätte Violante ihr sonst die Fessel abnehmen lassen? Auch die Soldaten waren auf ihren Befehl hin zurückgeblieben.
    Warum also glaubte sie ihr trotzdem nicht?
    »Ich verstehe eine ganze Menge vom Lügen«, sagte die Gräfin, als sie Sagas Verwirrung bemerkte. »Mehr als du selbst, womöglich.«
    »Ich –«
    Die Gräfin unterbrach sie. »Oh, mir fehlt das, was deine Fähigkeit ausmacht: Intuition. Du lügst so perfekt, weil du mit dem Talent dazu geboren wurdest.« Ihre Mundwinkel zuckten. »Ich musste mir meines hart erarbeiten.«
    Saga war schon anderen Menschen begegnet, die behauptet hatten, gute Lügner zu sein. Doch sie alle ahnten nicht, dass der Unterschied zwischen geschickter Schwindelei und der Macht des Lügengeistes so unermesslich war wie der zwischen dem Teich dort draußen und dem Ozean.
    »Erzähl mir davon«, bat die Gräfin, die Saga erneut ansah, woran sie gerade dachte. »Wie fühlt es sich an, solche Macht über andere zu haben?«
    »Wenn ich mich weigere,

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