Herrin der Lüge
blickte über die Schulter und löste eine Hand von Saga, um die Holzklappe zuzuschlagen. Sie prallte gegen Fauns Nase und ließ ihn mit einem Fluch zurücktaumeln.
Sofort aber war er wieder vorn, hieb die unverriegelte Luke nach außen und traf damit den Soldaten am Hinterkopf. Der schrie auf, ließ Saga los und stolperte. Sie drehte sich um und trat ihm fest gegen das Knie, dann, als er zusammensackte, mit aller Kraft zwischen die Beine. Wimmernd rollte der Mann sich zusammen.
Faun streckte seine Hand durch die Luke. »Saga!«
Sie ergriff seine Finger, ihre Haut war eiskalt. Ein schmerzerfülltes Lächeln huschte über ihre Züge. Da war Blut an ihrer Nase.
»Faun! Was haben –«, begann sie, kam aber nicht weiter, denn der junge Soldat war plötzlich wieder auf den Beinen und stürzte sich mit einem wütenden Brüllen auf sie. Die Hände der Zwillinge wurden von dem Aufprall auseinander gerissen. Saga stürzte unter dem Mann zu Boden, quer über den anderen, der immer noch röchelte und lauter stöhnte, als die beiden über ihn hinwegpolterten.
Faun musste sich verrenken und sein Gesicht in die Öffnung drücken, um zu sehen, was weiter geschah. Viel Gerangel, erhobene Fäuste, Finger wie Krallen. Schreie und Flüche und Keuchen. Und dann, zuletzt, ein dumpfer Schlag.
Sagas Körper erschlaffte. Sie bewegte sich noch, murmelte etwas, streckte die Hand in Fauns Richtung aus, war aber zu schwach, sich weiter gegen die beiden Soldaten zu wehren.
»Ich bring euch um, wenn ihr meiner Schwester noch ein Haar krümmt!«, brüllte er hilflos durch die Luke, hämmerte mit den Fäusten gegen das Holz und tobte wie ein Wahnsinniger. »Ich mach euch kalt! Ihr Dreckschweine! Beschissene Hurensöhne! Ich bring euch um!«
Einer der Männer starrte ihn teils verstört, teils zornig an, mit blutender Nase und zerwühltem Haar. Dann fiel die Luke zu. Der Riegel wurde vorgeschoben.
Faun trat gegen die Tür, warf sich mit der Schulter dagegen. Schrie und fluchte und wünschte der Gräfin den Teufel an den Hals.
Irgendwann merkte er, dass es draußen auf dem Gang wieder still geworden war. Saga und die Soldaten waren längst fort. Er war allein.
Faun fiel im Stroh auf die Knie und weinte.
Saga wurde hinauf in den Burghof geschleppt. Eine Frauenstimme – nicht die Gräfin, vielleicht eine Magd oder die Nonne Gunthild – beschimpfte ihre Bewacher, was jene dazu brachte, sich unbeholfen zu verteidigen und in gegenseitigen Anschuldigungen zu verzetteln.
»Sie blutet, Herrgott noch mal!«, schimpfte die Frau. Die Nonne war es nicht, dessen war sich Saga jetzt sicher, obwohl sie noch immer alles durch einen Schleier sah, ganz benommen und kurzatmig. Sie hatte Schmerzen, ohne sagen zu können, was genau ihr wehtat. Eigentlich alles, mehr oder minder. Wahrscheinlich war sie voller Prellungen und Schürfwunden von der groben Mauer im Kerkergang. Die Soldaten konnten nicht viel besser aussehen.
Sie wehrte sich nur noch schwach, als man sie in eine der Kutschen schob. Dort legte man sie auf den Boden zwischen den beiden Sitzbänken, winkelte ihre Knie an und schloss hinter ihr die Tür. Kurz darauf ging der andere Einstieg hinter ihrem Kopf auf, jemand beugte sich über sie, murmelte eine Reihe von Flüchen und tupfte mit einem feuchten Lappen in ihrem Gesicht herum.
»Halt still!«, sagte die Frauenstimme von vorhin. »Ich tu dir nichts.«
»Mein Bruder –«, murmelte Saga.
»Nicht reden.«
»Er ist da unten –«
»Wirst du wohl endlich den Mund halten.«
Saga wollte abermals widersprechen, aber dabei geriet ihr das Tuch zwischen die Lippen, sie schmeckte ihr eigenes Blut und hielt fortan still.
»So ist’s besser«, sagte die Frau, reinigte sanft Sagas Gesicht und schob ihr ein Kissen unter den Kopf. »Schlaf dich gründlich aus, dann geht es dir besser. Hast diese beiden Dummköpfe ganz schön zugerichtet.« Nun klang sie fast amüsiert, keineswegs ärgerlich. »Ein Mädchen gegen zwei Soldaten der Burgwache. Himmel, ein Wunder, dass uns die Männer des Kaisers heute Nacht nicht alle umgebracht haben.«
»Wohin …«, flüsterte Saga. Es kam ihr vor, als ginge die Sonne unter, dabei herrschte doch seit Stunden tiefste Nacht.
»Fort von hier«, sagte die Frau.
Saga bemühte sich, noch einmal die Augen zu öffnen, um ihre Wohltäterin zu erkennen. Sie sah ein verschwommenes Gesicht, darüber eine helle Haube wie ein Heiligenschein. Graues Haar. Oder weiß?
»Ich bin nur eine einfache Magd, Mädchen, aber ich
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