Herrin der Lüge
erkennbar, weil er wusste, dass sie da waren.
Sie hatten den äußeren Belagerungsring erreicht, aber niemand war überrascht, dass die Seldschuken sie verfolgten. Sie trieben ihre Rösser noch heftiger an, und Faun verlor Saga wieder aus den Augen. Die Welt um sie herum versank in einem halsbrecherischen Chaos aus aufstiebendem Sand, Hufdonner und wildem Gebrüll.
Tiessa war noch immer neben ihm, wieder einmal viel geschickter im Umgang mit ihrem Pferd als er. Er fragte sich, weshalb er den Pfeil in seinem Bein nicht stärker spürte. Sicher, es brannte und zog, und wenn er länger als ein paar Sekunden darüber nachdachte, fraß sich das Lodern an seinem Bein hinauf bis in den Magen. Zum Glück blieb ihm kaum Zeit zum Denken. Sich im Sattel zu halten erforderte seine ganze Aufmerksamkeit.
Er erinnerte sich an das, was Dürffenthal ihnen auf dem Weg hierher über die Seldschuken erzählt hatte: Sie waren vortreffliche Bogenschützen, selbst von den Rücken ihrer Pferde aus – ein Talent, das sie mit den Sarazenen teilten. Zahllose Schlachten im Heiligen Land waren zu Gunsten der Ungläubigen entschieden worden, weil die Christen ihnen im Umgang mit Pfeil und Bogen heillos unterlegen waren. Die Kreuzritter und ihre Vasallen brachten es bis heute nicht fertig, einen gezielten Schuss aus gestrecktem Galopp abzugeben. Sarazenen und Seldschuken hingegen jagten Pfeil um Pfeil auf ihre Feinde, während sie freihändig auf ihren dahinsprengenden Rössern saßen.
Noch einmal sah Faun zurück und glaubte jetzt hinter all dem Staub, den die Pferde aufwirbelten, eine zweite Wolke zu erkennen. Dichter und größer als ihre eigene verdeckte sie die fernen Lichter des Lagers. Nizamalmulk würde sie nicht davonkommen lassen.
Fauns Erstaunen war groß gewesen, als es den Johannitern gelungen war, ihre Pferde zu satteln, ohne dass die Seldschuken Verdacht geschöpft hatten. Der Krawall im Inneren der Festung hatte das ganze Lager in Aufruhr versetzt. Faun und die anderen hatten gehofft, dass Saga und Karmesin der Grund dafür waren; sicher hatten sie nicht sein können.
Er wechselte einen Blick mit Tiessa, die auf den Pfeil in seinem Oberschenkel zeigte. Faun schnitt eine Grimasse und gab ihr zu verstehen, dass er es schaffen würde – was leicht gesagt war, da die einzige Alternative bedeutete, schreiend aus dem Sattel zu fallen.
Weiter vorn klammerte sich Saga an Dürffenthal, ausgelaugt, aber noch immer kräftig oder willensstark genug, sich aufrecht zu halten. Faun war dem Johanniter unendlich dankbar. Um Saga und Karmesin zu retten, hatte er das Abkommen mit den Seldschuken gebrochen, und nur der Himmel mochte wissen, was das für die Zukunft des Grenzlands bedeutete. Andererseits – und das waren Dürffenthals eigene Worte gewesen – war die Schlacht um Gahmurets Festung entschieden, der gemeinsame Gegner geschlagen, und es gab keinen Grund mehr, das Bündnis aufrechtzuerhalten.
»Und der geplante Angriff auf Jerusalem?«, hatte Faun gefragt. »Der Krieg an zwei Fronten, den Ihr vermeiden wolltet?«
»Noch ist dies hier kein Krieg, Junge. Nur ein Zwischenfall. So was passiert. Und früher oder später wären sie uns wahrscheinlich ohnehin in den Rücken gefallen.«
Faun war nicht sicher gewesen, ob es dem Ritter mit seinen Worten ernst war oder ob er sich nur vor seinem Gewissen gerechtfertigt hatte.
Vor ihnen krochen die Sterne nach oben, als ein schwarzer Wall einen wachsenden Teil des Himmels verschlang: der Felsenkamm, den sie auf dem Hinweg überquert hatten. Faun wünschte, er hätte sich einreden können, dass dahinter so etwas wie Sicherheit lag. Stattdessen wartete dort ein tagelanger Ritt durch die Einöde, ehe sie endlich den Krak des Chevaliers erreichen würden.
Aber Tiessa, die süße, wunderschöne Tiessa, die anscheinend niemals die Hoffnung verlor, lächelte plötzlich inmitten all des Lärms und machte mit der Hand eine Geste, die er nicht verstand.
Was?, formte er mit den Lippen.
Sie wiederholte die Handbewegung, sah, dass er noch immer nicht begriff, winkte ab und deutete nach vorn. Er zuckte die Achseln und ließ sich von der Truppe der Johanniter mit Dürffenthal und Saga an der Spitze den Hang hinauftreiben.
Erst als es endlich wieder bergab ging, erkannte er, was Tiessa gemeint hatte.
Weiter unten lag der Fluss aus Basaltstaub, kaum sichtbar in der Dunkelheit. Und über ihn führte die Hängebrücke, der einzige Weg auf die andere Seite. Die Handbewegung, die Tiessa gemacht hatte, war
Weitere Kostenlose Bücher