Herrin der Lüge
zurückweichenden Krieger, bis sie wieder Seite an Seite standen, die Konkubine und die Magdalena. Mit verbissenen Mienen erwarteten sie die Pfeile der Bogenschützen.
»Das war dumm«, sagte Karmesin, ohne den Blick von den näher rückenden Schützen zu nehmen.
»Ist das der erste Auftrag, bei dem du versagt hast?«
Die Konkubine sah sie für einen Moment fragend an, dann lächelte sie und nickte.
Schreie ertönten in der Nacht, gleich darauf übertönt von ohrenbetäubendem Donnern. Riesige Umrisse stießen in den Haufen der Bogenschützen und sprengten ihn auseinander. Körper flogen in alle Richtungen, andere wurden erbarmungslos niedergetrampelt. In den Sätteln der Rösser saßen Reiter in schwarzen Gewändern, mit Helm und Schwert und Axt. Die weißen Kreuze des Johanniterordens leuchteten in der Finsternis; sie waren das Erste, was Saga überhaupt erkennen konnte inmitten des hereinbrechenden Chaos aus brüllenden Männern, Schmerzensschreien und dem gewaltigen Getöse der Pferdehufe.
»Saga!«
Sie blickte sich suchend um, während die Schwertkämpfer herumwirbelten und versuchten, sich dem neuen Feind zu stellen. Mehrere wurden von Pferden zu Boden geworfen, andere von den Reitern erschlagen.
»Faun?«
»Saga, hier!«
Sie entdeckte ihn auf einem Pferd zwischen all den anderen, auf einem zweiten Ross dicht an seiner Seite Tiessa, und da war auch Zinder, der jetzt genau auf Karmesin zuhielt, sein Pferd vor ihr zügelte und ihr einen Arm entgegenstreckte. »Rauf mit dir!«, brüllte er. »Schnell!«
Saga sah die Konkubine hinter dem Söldner in den Sattel gleiten, fühlte sich plötzlich gepackt und nach oben gerissen. Geistesgegenwärtig schwang sie ihr Bein über den Pferderücken und fand sich im Sattel hinter einem Ritter wieder.
Saga klammerte sich an das schwarze Kettenhemd des Johanniters vor ihr. Kurz erhaschte sie einen Blick auf sein Gesicht, als er den anderen ein Zeichen gab. Es war Dürffenthal. Dann preschte der schwarze Rappe unter ihnen vorwärts. Wie ein Sturmwind jagte der Trupp zwischen den Zelten hindurch, während Saga das Gefühl hatte, als wäre dies alles ein Traum, in dem sich die Welt in einen Wirbel aus Finsternis und Lichtschlieren verwandelt hatte. Überall um sie war Lärm, Gebrüll und der Geruch von Feuern. Alarmrufe erklangen, wildes Geschrei der Seldschuken, und nun kamen sie auch von allen Seiten herbeigestürmt, wutentbrannt die Schwerter schwingend. Pfeilstürme gingen auf sie nieder. Pferde wieherten und schrien, wenn eines getroffen wurde, aber alle sprengten weiter, selbst die verletzten, und Saga sah keinen Ritter fallen.
Wieder und wieder fächerte ihr Blick zu Faun und heftete sich an ihn, als wäre er ihr einziger Halt in diesem Chaos. Er ritt noch immer dicht neben Tiessa, selbst in diesem Durcheinander während Zinder und Karmesin gleich hinter ihnen waren.
Dürffenthal hielt mit nur einer Hand die Zügel, während er mit dem gezogenen Schwert gestikulierte, hier und da nach einem Seldschuken schlug, der nicht schnell genug fortkam.
Irgendwann schloss Saga die Augen vor Erschöpfung, und es kam ihr so vor, als ließe der Lärm etwas nach. Aber es mochte vielleicht daran liegen, dass ihre Kräfte immer schneller schwanden. Sie war nicht sicher, wie lange sie noch durchhalten würde. Gedankenfetzen wirbelten durcheinander und formten sich neu. Szenen der Reise vermischten sich mit den Erinnerungen an das, was Gahmuret vor seinem Tod gesagt hatte. Nicht viel davon hielt sie fest – nur die Tatsache, dass Violante tatsächlich Tausende in den Tod geschickt hatte: für ein Kind, das nicht sein durfte, und eine Liebe, die längst vergangen war.
»Saga!«
Faun ritt plötzlich neben ihr und schenkte ihr ein besorgtes Lächeln. Zu ihrem Entsetzen sah sie einen Pfeilschaft aus seinem Oberschenkel ragen, und dann dämmerte ihr, dass das Lächeln vielleicht etwas anderes war, eine Grimasse des Schmerzes.
»Wir …«, brachte sie stockend hervor, nicht sicher, ob Faun oder irgendwer sonst sie verstehen konnte, »… wir haben keinen angefasst … keinen von ihnen … nicht krank!«
Als sie noch einmal hinsah, strahlte er tatsächlich, strahlte von einem Ohr zum anderen.
Die letzte Jagd
Faun versuchte, nach hinten zu blicken, aber er sah nur die anderen Johanniter inmitten einer Staubwolke wie wogender Schatten, und irgendwo dazwischen die verschwommenen Gesichter von Zinder und Karmesin, geisterhaft bleich im trüben Sternenlicht über der Öde und nur
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