Herrin der Lüge
Fluchtversuch wagen.
Mehrere Soldaten erwarteten Violante außerhalb der Wagenburg. Sie wurde nicht langsamer, als die Männer einen Kreis um sie bildeten, der sie nach allen Seiten gegen Gefahr abschirmte.
Das Lager war auf einer Lichtung aufgeschlagen worden, und die Gruppe aus Violante und ihren Leibwächtern bewegte sich? nun zum Waldrand, dorthin, wo ein Weg einmündete. Viele Fackeln tanzten dort in der Nacht, und sie beschienen eine große Gruppe Menschen. Bei den vorderen handelte es sich um den Rest ihres Schutztrupps, aber die Neuankömmlinge waren offenbar weit in der Überzahl. Blankgezogene Klingen schimmerten im Feuerschein, doch es wurde nicht gekämpft.
Einer der Leibwächter löste sich aus der Formation, schaute zurück, entdeckte Saga und eilte auf sie zu. Sie wollte ihm ausweichen und zu Violante aufholen, doch er hielt sie zurück.
»Nicht«, befahl er knapp und packte sie an der Schulter. »Die Gräfin hat Befehl gegeben, dich zurück zu deiner Kutsche zu bringen.«
Saga stellte sich auf die Zehenspitzen und versuchte, über die Schulter des Soldaten zu schauen. Sie erhaschte einen Blick auf einen hochgewachsenen Mann in brauner Kleidung, der Violante und ihren Kriegern entgegentrat. Sein Haar war silbergrau und zu einem langen Pferdeschwanz gebunden. Kurz darauf wurde er von den Wächtern verdeckt.
»Wer ist das da drüben?«, fragte sie.
Der Soldat hielt sie noch immer fest, drehte sich nun aber gleichfalls um und richtete seinen Blick zum Waldrand. »Zinder«, knurrte er.
Saga machte keine Anstalten, zur Kutsche zu gehen.
»Ein Söldnerführer«, sagte der Mann so unverhohlen abfällig, dass sie ihm nun doch ins Gesicht schaute. Seine Züge waren nicht besonders ausdrucksvoll, ein einfacher Soldat mit blondem Haar und Bartstoppeln. Trotzdem war er ihr schon vormals aufgefallen. Tagsüber war er am Gitterfenster ihres Wagens vorbeigeritten und hatte hineingeschaut, nicht so offensichtlich gaffend wie einige der anderen, eher argwöhnisch und nicht besonders freundlich.
»Diese Männer, sind das alles Söldner?«, wollte sie wissen.
»Ja.« Er drehte sie um und drängte sie Richtung Kutsche. Sie gehorchte, ging aber langsamer als nötig.
»Was wollen sie hier?«
»Das weiß nur die Gräfin selbst.«
Sie musterte ihn skeptisch von der Seite. »Du hast wirklich keine Ahnung?«
»Ich weiß, was von ihnen erwartet wird. Aber nicht, warum … Als wären wir nicht selbst in der Lage, die Herrin zu schützen.«
Überrascht blieb sie stehen. »Heißt das, Violante hat diesen Zinder und seine Männer angeheuert?«
Er murmelte etwas, das eine Bestätigung sein mochte.
»Als Verstärkung also«, mutmaßte sie.
»Wohl kaum.« Er klang jetzt fast wütend, und Saga erkannte verspätet, dass sein Zorn gar nicht ihr galt. Erst als er fortfuhr, begriff sie.
»Zinder und seine Männer bilden den neuen Schutztrupp für eure Weiterreise. Wir anderen kehren um. Nicht, wenn’s nach mir ginge, und der Hauptmann hat auch widersprochen, aber –«
»Aber die Gräfin hält nicht viel von Widerspruch«, beendete Saga seinen Satz. »Das hab ich gemerkt.«
Ein kurzes Lächeln huschte über die Züge des Soldaten. Er schob sie weiter zur Kutsche, doch sein Griff verlor an Grobheit. »Frau Violante wird wohl wissen, was sie tut«, sagte er ohne echte Überzeugung.
»Du denkst, die ganze Reise ist ein Fehler?«
Er zögerte. »Dazu habe ich keine Meinung.« Er gab sich nicht einmal Mühe, ein guter Lügner zu sein.
»Sicher hat dein Hauptmann eine«, sagte sie diplomatisch und gab ihm damit Gelegenheit, seine eigenen Bedenken auszusprechen und trotzdem den Respekt vor seiner Herrin zu bewahren.
»Du bist ein treuer Diener deiner Gräfin, und du würdest sie gerne vor Schaden bewahren.«
»So ist es.«
»Dann solltest du mir verraten, was sie vorhat. Auf mich wird sie hören.« Das war ein Wagnis, denn sie konnte nicht wissen, ob er einen solchen Einfluss tatsächlich für möglich hielt, geschweige denn daran glauben wollte.
Aber sie hatte Glück. In seiner Sorge um die Gräfin war er verzweifelt genug, um jeden Ausweg in Erwägung zu ziehen. »Das wäre möglich«, murmelte er, als sie die Kutsche erreichten.
»Ich kann sie überzeugen«, log Saga. »Ich muss nur wissen, mit welchen Argumenten. Am besten, du verrätst mir deine.«
»Die Reise ist viel zu gefährlich«, sagte der Soldat, nun tatsächlich in dem Glauben, dass Saga alldem ein Ende machen konnte. »So weit fort von zu Hause … Sie
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