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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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muss von Sinnen gewesen sein, als sie sich das in den Kopf gesetzt hat. Und alles nur, für den Grafen, der doch eh längst tot ist.«
    Saga machte gar nicht den Versuch, die Zusammenhänge zu verstehen. Erst so viele Aussagen wie möglich sammeln, dann sortieren – und am Ende vielleicht so etwas wie die Wahrheit daraus zusammensetzen.
    »Ganz bestimmt ist der Graf tot«, redete sie ihm zu. »Ich bin, sicher, die Gräfin wird mir glauben, wenn ich ihr das erkläre. Wo, glaubst du, ist er gestorben?«
    »Konstantinopel, natürlich. Von dort hat man zuletzt vor»ihm gehört.«
    »Sie will nach Konstantinopel?« Saga war so erschüttert,’ dass sie vergaß, die Stimme des Lügengeistes einzusetzen. Sie erkannte ihren Fehler, als sich der Schleier im Blick des Soldaten zu klären begann. Rasch fügte sie hinzu: »Ich glaube auch, dass Graf Gahmuret dort gestorben ist. Du hast ganz bestimmt Recht.«
    Er nickte benommen.
    »Sie will ihn also suchen, richtig? Sie ist tatsächlich von Sinnen.« Die gewohnte Übelkeit setzte ein. Saga lehnte sich mit dem Rücken gegen die Kutschentür. Sie hatte Hunger, und das machte es nur noch schlimmer.
    »Ja«, sagte der Soldat. »Manche glauben, sie hat den Verstand verloren.«
    »Aber du glaubst das nicht.«
    »Nein. Ihre Trauer ist schuld. Sie will nicht wahrhaben, dass Graf Gahmuret nicht mehr lebt.«
    »Du wärest der Gräfin eine große Hilfe, wenn du mir mehr erzählst von dem, was du darüber denkst. Zum Beispiel über den weiteren Verlauf der Reise. Und über diesen Söldnerführer, diesen –«
    »Zinder«, sagte er bereitwillig. »Man erzählt sich, er habe bereits unter Kaiser Heinrich gekämpft.« Heinrich war der ältere Bruder Philipps von Schwaben gewesen. Nach seinem Tod im Jahr 1197, vor dreizehn Jahren, hatte jener Streit um die Krone begonnen, der schließlich zum Bürgerkrieg zwischen den Anhängern Philipps und Ottos geführt hatte.
    Der Soldat fuhr fort: »Später hat Zinder Philipp auf seinem Zug nach Italien begleitet. Er hat für ihn im Elsass und gegen Heinrich von Thüringen gestritten und schließlich mit Philipps Heer vor den Toren Braunschweigs gestanden. Später wiederum soll er auf der Seite Ottos gekämpft haben – da muss er schon die Treue zu seinem Herrn hinter die Aussicht auf guten Sold und reiche Beute zurückgestellt haben.« Die Miene des Soldaten verriet deutlich, wie er darüber dachte.
    »Ein Verräter also«, stimmte Saga ihm zu. Der Lügengeist war am überzeugendsten, wenn er die Ansichten seiner Opfer als Tatsache bekräftigte und nicht in Frage stellte. Mit den Jahren hatte Saga gelernt, dass sich aus den meisten Menschen mit Hilfe gezielten Nachplapperns ebenso viele Antworten herauskitzeln ließen wie durch Fragen. Oftmals war die Erwiderung sogar ehrlicher, glaubte der andere sich doch in seiner Meinung bestärkt.
    »Ein Verräter, allerdings«, sagte der Soldat mit gesenkter Stimme. »Aber als Söldner besitzt er einen guten Ruf. Er habe seine Leute fest im Griff, heißt es, und er versteht etwas davon, eine Heerschar im Kampf zu führen. Außerdem ist da das Schwert, das er trägt. Wielands Schwert, munkeln manche … Aber wer seinen Herrn einmal verraten hat, der wird es wieder tun. Da macht es keinen Unterschied, ob er das Schwert eines Zauberers trägt oder eine Mistgabel.«
    »Die Gräfin macht einen Fehler, sich auf so jemanden zu verlassen.« Saga musste dem Mann nichts vormachen; es war ihre aufrichtige Meinung. Schlimmer war, dass die Gräfin nicht nur sich selbst, sondern auch Saga in die Hand dieses Söldners geben wollte.
    »Warum sagst du ihr das nicht selbst ins Gesicht?«, erkundigte sich plötzlich jemand neben ihnen im Dunkel.
    In ihrem Ringen um die Worte, die den Soldaten aus der Reserve locken sollten, hatte sie nicht bemerkt, dass sich die Gruppe am Waldrand aufgelöst hatte. Nun erkannte sie erschrocken, dass Violante herangekommen war. Im selben Moment traf sie eine so heftige Ohrfeige, dass sie zurückgeschleudert wurde, mit dem Kopf gegen die Kutsche krachte und vor Schmerz in die Knie brach.
    »Ist sie das?«, fragte eine männliche Stimme, nur halb verständlich durch die Explosion in ihrem Schädel. »Sieht mir nicht wie eine Heilige aus.«
    »Oh, keine Sorge – sie ist eine. Gesegnet durch und durch.« Violante beugte sich vor. »Aber manchmal vergisst sie unsere Abmachung, nicht wahr?«
    Saga hob den Kopf, wollte etwas sagen, als eine zweite Ohrfeige sie traf und halb unter den Wagen

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