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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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schleuderte.
    »Hauptmann!«, hörte sie Violante rufen. »Zehn Stockschläge für diesen Mann. Und auch für jeden anderen, der mit ihr spricht.« Zu Saga sagte sie: »Und du wirst so etwas nie wieder tun, verstanden? Sonst lasse ich dich für den Rest der Reise knebeln.«
    Der Söldnerführer mit dem Silberhaar beugte sich vor und betrachtete Saga wie ein verendetes Tier am Wegrand. »Sie wird uns Ärger machen. Besser, sie wäre tot.«

Der lebende Tote
     
    Es war bereits Nacht, als Kardinal Oldrich durch Roms verwinkelte Gassen eilte. Seit dem Abend, an dem der Heilige Vater ihn in seine Pläne eingeweiht hatte, waren einige Tage vergangen. Tage, die Oldrich mit düsteren Gedanken und noch dunkleren Befürchtungen zugebracht hatte. Er hatte sich seinen Entschluss nicht leicht gemacht. Bei Gott, das hatte er wahrlich nicht.
    In dieser Nacht, würde er gegen den Willen des Papstes verstoßen. Gegen Innozenz’ ausdrückliche Anweisungen handeln. Und schwere Schuld auf sich laden. Aber er war bereit dazu, denn es diente einem größeren Gut, dem Heil der Mutter Kirche. Und damit, in nicht unerheblichem Maße und auf längere Sicht betrachtet, seinem eigenen.
    Die Häuser standen in diesem Teil Roms dicht beieinander, Dachgiebel beugten sich über die Straße wie tuschelnde Mönche. Auch Oldrich suchte Schutz im Schatten seiner Kapuze, hielt den Oberkörper unter dem langen Mantel leicht vorgebeugt und gab sich Mühe, nicht nach rechts oder links zu blicken. Die Versuchungen kamen in einer Gegend wie dieser in vielerlei Gestalt – lockende Weiber, entblößte Knaben, käufliches Fleisch jeden Alters –, weit mehr Sorge machten ihm jedoch Diebe und Halsabschneider, die sich in dieser Gegend tummelten.
    Warum hier?, fragte er sich zum wiederholten Male und kannte bereits die Antwort, so sehr sie ihm auch missfiel: Um mich zu demütigen. Um herauszufinden, welchen Preis ich diesmal bereit bin, für seine Dienste zu zahlen.
    Oldrichs Ziel war eine Taverne nahe des Tiberufers, so verkommen und finster wie alle Trinkhäuser dieser Gegend. Denjenigen, den er dort suchte, kannte er nur als den Bethanier. Der Mann, der sich so nannte, nahm dieser Tage viele Namen an, vielerlei Identitäten. Einst war er tot gewesen, und lebte doch noch immer. Anfangs hatte Oldrich das Gerede über seine Wiederauferstehung für Blasphemie gehalten, doch mit der Zeit waren ihm Zweifel gekommen. Eine Weile lang hatte er den Bethanier gar als Führer seiner Leibgarde beschäftigt, damals während des Kreuzzuges – und das war ihn in mehrfacher Hinsicht teuer zu stehen gekommen –, aber auf Dauer hatte ihn die Nähe dieses Mannes nervös gemacht. Unbestreitbar war etwas an ihm, das jeder andere spürte, ohne es benennen zu können. Ein Frösteln, das einen überkam, wenn man seinen Blick kreuzte. Eine Hand, die einen im Nacken berührte, obgleich man ihm doch gegenüberstand. Ein Wühlen tief in den Eingeweiden.
    Oldrich traute dem Bethanier nicht – nein, er kaufte ihn. Und so war es ihm lieber. Oldrich hatte die Erfahrung gemacht, dass Zuverlässigkeit die käuflichste aller menschlichen Tugenden war. Treue? Wohl kaum. Freundschaft oder Ergebenheit? Nicht, wenn es hart auf hart kam. Aber wenn es darum ging, einen Auftrag auszuführen, ohne Loyalität, nur der Bezahlung wegen, dann war der Bethanier jemand, auf den er zählen konnte. Tot oder nicht tot, wiedergeboren oder schlichtweg irrsinnig.
    Während er auf die erleuchteten Fenster der Taverne zueilte, die der Bethanier ihm als Treffpunkt genannt hatte, überdachte er noch einmal das Gespräch mit dem Heiligen Vater. Innozenz’ Worte hatten vernünftig geklungen, sorgfältig überlegt wie jede seiner Entscheidungen. Und doch hatte er Oldrichs Zweifel nicht zerstreuen können. Gahmurets Gemahlin blieb eine Gefahr, ob der Papst das wahrhaben wollte oder nicht. Innozenz hatte eigene Pläne mit ihr, und es waren unbestreitbar gute Pläne. Doch nicht sie war diejenige, von der die größte Bedrohung ausging. Tatsächlich mochte die Gräfin ihnen von Nutzen sein, ganz ohne Zweifel. Aber welchen Preis nahm der Heilige Vater dafür in Kauf? Jene andere, die Magdalena, konnte der Kirche Schaden zufügen, der ins Unermessliche ging. Innozenz unterschätzte die Gefahr, die von den Gerüchten über sie ausging. Das Potenzial, das in den Geschichten steckte. Und so schwer Oldrich dieser Schritt auch fiel – er würde etwas gegen diesen Fraß am Fundament des Glaubens unternehmen.
    Oldrich kämpfte

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