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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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überzeugte schließlich auch ihn.
    In der Nähe hatten sie einen windschiefen Wegweiser gefunden, den beide nicht lesen konnten. Tiessa meinte, sie befänden sich in der Nähe von Ravensburg, aber sicher war auch sie nicht.
    Der Zug der Magdalena war ein Stück weiter westlich vorbeigekommen. Eine alte Bäuerin, die Faun und Tiessa am Morgen getroffen hatte, hatte die Frauen gesehen und erzählt, es wären mehrere hundert gewesen, die als langer Menschenwurm durch die Täler gewandert seien. Wenig später waren auch Faun und Tiessa auf die Spuren des Zuges gestoßen, auf vertrocknete Pferdeäpfel und Abfälle, dann auf Brandlöcher von Lagerfeuern und die Überreste von ein, zwei zerschlissenen Zelten. Schließlich auf einen Grabhügel. Faun war von der unerklärlichen Angst gepackt worden, dass dies Sagas Grab sein könnte. Es war keine vernünftige Furcht, nichts, für das es irgendeinen Grund gab, aber der Gedanke beschäftigte ihn dennoch so sehr, dass er stundenlang kaum ein Wort sprach.
    Kurz danach hatten sie Menschen getroffen, die die Magdalena tatsächlich gesehen hatten. Sie erzählten davon, wie sie in einem Nachbardorf gepredigt und viele Mädchen dazu bewegt hatte, sich ihrem Kreuzzug anzuschließen. Faun und Tiessa hatten den Ort besucht und mit den Bewohnern gesprochen. Einige waren mürrisch und verschlossen gewesen, gebeugt vom Verlust; andere aber hatten ihrem Zorn bereitwillig Luft gemacht und auf die Magdalena, ihre Krieger und Gott selbst geflucht.
    Zum ersten Mal hatten sie übereinstimmende Beschreibungen der Magdalena erhalten. Demnach musste sie siebzehn oder achtzehn sein, schlank, mit kastanienbraunem Haar. Das mochte auf zahllose Frauen zutreffen, aber es hätte Tiessas Seitenblicke nicht bedurft, um den unerhörten Verdacht in ihm zu nähren:
    Die Worte, mit denen die Dörfler die Magdalena beschrieben, waren nahezu die gleichen, die Faun benutzt hatte, als er Tiessa von Saga erzählt hatte.
    Es passte alles zusammen. Jede Kleinigkeit.
    Mit einer Ausnahme: Saga glaubte nicht an Gott, und ganz sicher nicht an die Befreiung des heiligen Jerusalem. Sie würde sich niemals für eine solche Sache hergeben. Ganz bestimmt nicht freiwillig.
    Den Falken sah Faun ebenso selten wie zuvor, nur manchmal erhaschte er aus den Augenwinkeln einen Blick auf einen dunklen Punkt am Himmel, der mal da war, dann wieder verschwand.
    Die Schänke war ein zweistöckiges Fachwerkgebäude mit bemoostem Dach und zwei großen Regenfässern rechts und links der Tür. Auf der einen Seite befand sich ein schmaler Hof, über den man zum Pferdestall gelangen konnte. Auf der anderen Seite wuchsen ein paar mickrige Obstbäume, ehe das Land erneut unter dem allgegenwärtigen Wald verschwand.
    Faun warf Tiessa einen Seitenblick zu. »Meinst du wirklich, es ist sicher genug?«, fragte er.
    Sie nickte, hakte ihre Hände unter das Bündel und ging los. Als sie am Pferdestall vorbeikamen, fiel Fauns Blick auf einen dickbäuchigen Knecht, der davor lungerte und sie neugierig musterte. Hastig zog er Tiessa weiter.
    Nach ein paar Schritten gelangten sie zur Tür des Gasthauses. Die Fensterläden an der Vorderseite waren geschlossen. »Scheint ziemlich voll zu sein«, sagte Tiessa skeptisch und deutete auf den Flammenschein, der durch die Ritzen der Läden fiel. Er wurde unterbrochen durch allerlei schattenhaftes Zucken, wenn im Inneren Menschen vorübergingen. Zahlreiche Stimmen vermischten sich zu einem unverständlichen Kauderwelsch.
    »Hoffentlich keine Räuberhöhle«, sagte Faun und meinte es nur halb im Spaß. Wenigstens wirkte das Anwesen einigermaßen gepflegt. Aller Wahrscheinlichkeit nach handelte es sich um eine ordentlich geführte Zwischenstation für Reisende auf dem Weg in die Berge. Von hier aus konnte es nicht mehr allzu weit sein, bis sie die Ausläufer der Alpen erreichten.
    Faun öffnete die Tür und blickte als Erster hinein. Noch bevor er Einzelheiten wahrnahm, suchte er nach den vier Rittern. Sie waren nicht da. Mit einem Wink gab er Tiessa zu verstehen, dass sie ihm folgen sollte.
    Mehrere Dutzend Menschen befanden sich im Schankraum des Wirtshauses, die meisten von ihnen Bauern und ihre Knechte, außerdem ein paar Händler auf der Durchreise, Köhler und Holzfäller. Womöglich auch der eine oder andere Wegelagerer; zweifelsohne gab es hier genug verschlagene Mienen für zwei Räubernester.
    Der Boden der Gaststube bestand aus gestampftem Lehm. An langen Tafeln – blank gescheuerten Brettern auf

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