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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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gegeben, aber als man ihn mir geschenkt hat, hieß er schon so.« Sie sprach mit entwaffnender Unschuld, so als hätte Faun wissen müssen, dass etwas Derartiges passieren könnte. »Er hat geglaubt, du wolltest mir mit dem Messer etwas zuleide tun.«
    Faun brachte keinen Ton heraus. Sein Blick haftete an dem edel gezeichneten Falken auf dem Arm des Mädchens. Die winzigen Augen starrten zurück.
    »Wolltest du mir etwas zu Leide tun?«, fragte sie ruhig.
    »Ich … nein, natürlich nicht!« Er machte nicht einmal den Versuch, nach einer Ausrede zu suchen. Es gab keine.
    Ihre linke Hand wog die Geldbörse in der Hand. »Ich hätte nicht geglaubt, dass du das wirklich versuchst. Ich meine, ich habe darüber nachgedacht. Aber nach gestern Nacht … Ich dachte …« Sie brach ab.
    Er öffnete den Mund, doch es kam kein Laut über seine Lippen. Jede Entschuldigung hätte nur zynisch geklungen.
    »Du solltest die Wunden auswaschen«, sagte sie.
    Er zeigte auf den Falken. »Das ist deiner gewesen, die ganze Zeit über! Der Vogel, den ich gesehen hab, all die Tage.«
    »Ja.«
    »Aber der Mann auf dem Pferd …«
    »Sturm hat früher ihm gehört. Er hat geglaubt, der Falke würde ihn zu mir führen, wenn er nach ihm ruft. Aber Sturm gehorcht jetzt mir, nicht ihm. Deshalb ist der Mann so wütend gewesen.«
    Faun versuchte aufzustehen. Die verletzte Haut spannte und schmerzte, aber er war nicht in seinen Bewegungen eingeschränkt. Sein Tonfall wurde ätzend. »Ach! Hast du den Falken etwa auch geklaut?«, fragte er spöttisch. »Wie die Münzen?«
    Sie schwieg eine Weile, dann schüttelte sie den Kopf. »Was das Geld angeht, so hab ich dich nicht angelogen. Ich hatte eigenes, als ich aufgebrochen bin, das ist wahr. Aber das war viel zu wenig. Vor ungefähr zwei Wochen habe ich gemerkt, dass die vier Ritter mich verfolgen. Ich hatte es mir schon vorher gedacht, aber an diesem Abend habe ich sie das erste Mal gesehen. Sie stiegen in einem Wirtshaus ab, in dessen Heuschober ich die Nacht verbringen wollte.« Ihre Stirn runzelte sich leicht. »Damals glaubten sie noch, sie hätten leichtes Spiel mit mir. Als sie schliefen, habe ich dem mit der Augenklappe die Börse gestohlen.«
    Faun starrte sie ungläubig an.
    »Das ist die Wahrheit«, sagte Tiessa.
    Er wusste nicht, was er über diese Geschichte denken sollte – etwas in ihm wollte ihr glauben, so viel stand fest –, aber er hatte zu viele andere Fragen. Und, zum Teufel, das Mistvieh auf ihrem Arm hätte ihm fast die Augen ausgehackt. In seinem Handrücken klaffte eine hässliche Scharte, die sich wieder und wieder mit Blut füllte.
    »Wer bist du wirklich?«
    »Das kann ich dir nicht sagen.«
    »Ist Tiessa dein richtiger Name?«
    Sie wich seinem Blick aus und streichelte jetzt wieder den Kopf des Falken. Das anmutige Tier saß vollkommen still, wie ausgestopft. »Ich habe eine ganze Reihe von Vornamen. Tiessa ist der dritte oder vierte.« Auch das sprach für eine adelige Herkunft. »Ich sag doch, ich habe dich nicht angelogen.«
    »Natürlich nicht. Du hast mir nur nicht die ganze Wahrheit gesagt.«
    Sie nickte stumm.
    Er streifte sein Wams ab, spritzte sich Wasser aus einem Lederschlauch über die Wunden und tupfte sie mit einem Zipfel seiner Decke ab. Die grobe Wolle kratzte über die Wundränder und ließ ihn zusammenzucken.
    Tiessa griff mit der leeren Hand in ihr Bündel, zog ein Stück Leinentuch hervor und warf es ihm zu. »Hier. Das ist einigermaßen sauber.«
    Er nahm es widerwillig an und reinigte die Verletzungen.
    »Tut mir leid«, sagte sie.
    »Muss es nicht. Ich war es, der dein Geld stehlen wollte.«
    »Es tut mir leid, dass du Schmerzen hast.«
    »Das geht schon.« Er verrieb das frische Blut an den Löchern seiner Tunika, bis nur noch ein dunkler Schleier zu sehen war. Dann streifte er das Kleidungsstück über den Kopf und zog es zurecht.
    »Wir kaufen dir ein neues Wams«, sagte sie.
    Überrascht blickte er auf. »Du willst noch weiter mit mir reisen?«
    »Die Auswahl ist nicht besonders groß.«
    Der Falke schüttelte sein Gefieder. Tiessa machte eine ruckartige Bewegung mit dem Arm. Sofort stieg das Tier in die Höhe und verschwand im Dunkel der Baumwipfel.
    »Ich werde das nicht noch einmal versuchen«, sagte Faun ernsthaft.
    Sie lächelte. »Ich weiß.«
    Am Abend des darauffolgenden Tages entschieden sie, dass es sicher genug war, in ein Gasthaus einzukehren. Faun fürchtete noch immer, dass die vier Ritter ihnen auf den Fersen waren, aber der Hunger

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